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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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versucht zu schlafen. In Lager 4 schläft man erfahrungsgemäß eher wenig, also holt jetzt alles raus, was geht. Noch Fragen?«
    »Ja«, sagte Nina, »kannst du Mingma auftragen, er soll uns am Morgen statt seines Porridge etwas anderes ins Zelt schieben?«
    »Ich würde sogar Hühnerköpfe vorziehen«, sagte Manuel.
    »Morgen gibt es kein Frühstück, jeder steckt sich einen Energieriegel in den Mund und marschiert los.« Hadan rümpfte die Nase. »Der Geruch ist wirklich nicht zu ertragen.«
    »Eins noch«, rief Nina, »kann es sein, dass du Schokolade eingesteckt hast?«
    Hadans Seufzen klang müde. »Manchmal habe ich den Eindruck, ich leite hier einen Schülerausflug.«
    Er schloss das Zelt, und sofort setzten Nina und Manuel ihr Gezänk fort. Jonas war kurz davor, unfreundlich zu werden, da fiel ihm sein iPod ein. Gerade wollte er ihn einschalten, als ihn Manuel fragte:
    »Hast du eigentlich Hunger?«
    »Ich? Nein, wieso? Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal Hunger hatte.«
    »Geht mir auch so. Und hast du Lust auf Sex?«
    »Schwul!« trompetete Nina.
    »Ich will bloß wissen, ob die Libido hier oben tatsächlich so reduziert ist, wie die Ärzte im Basislager behaupten. Ich habe an ihrem Versuch teilgenommen, es war sehr interessant. Ab 4000 Höhenmetern sinkt das Interesse an Sexualität rapide, haben sie festgestellt.«
    »Deines ja offensichtlich nicht, mein Regenbogenkönig.«
    »Das steht jetzt gar nicht zur Debatte.« Er schöpfte einige Sekunden Atem. »Außerdem habe ich Jonas gefragt.«
    Jonas sagte nichts. Er stöpselte sich die Kopfhörer in die Ohren und drückte auf Start.
    Zum Glück kein Song von Marie. Er drehte die Lautstärke auf, sodass er die beiden neben sich nicht mehr hören konnte.
     
    Der Brief. In seiner Tasche.
    Mach ihn auf.

53
     
    Als Jonas von Mingma gerüttelt wurde, stritten Nina und Manuel neben ihm noch immer oder schon wieder, und ihm kam der ernsthafte Verdacht, mit den beiden könnte etwas nicht stimmen. Womöglich waren sie höhenkrank, womöglich war ihr Gefasel ein Hinweis auf Hypoxie. Im Basislager war man mit ihnen völlig problemlos ausgekommen, und hier oben benahmen sie sich wie Idioten, oder jedenfalls wie Menschen, die eine seltsame Infantilisierung durchgemacht hatten. Auszuschließen war es nicht, dass so etwas an der Höhe lag.
    Aber woher hatten sie diese Energie? Nahmen sie irgendwelche leistungssteigernden Mittel? Er musste jeden Lebensfunken in sich sammeln, nur um sich zur Seite zu drehen oder aufzusetzen, und die beiden beharkten sich wie Kinder auf einem Spielplatz.
    »Jonas, was meinst du? Sieht er aus wie ein Prinz oder nicht?«
    Er beschloss, sich das nicht länger anzutun, und zog sich in Windeseile an. Er war heilfroh, als er endlich das übelriechende Zelt mit den zwei durchgedrehten Streithähnen verlassen hatte, obwohl ihm die Kälte den Atem verschlug, der dröhnende Wind ihm beinahe die Mütze vom Kopf riss und er sofort die Nähe einer großen Gefahr spürte. Hier galt es, sich zu konzentrieren. Jeder Schritt konnte der letzte sein. Und dabei musste er sich mit Bildern von Manuel herumschlagen, der Hermelin und Krönchen trug.
    Er machte sich daran, die Sauerstoffmaske aufzusetzen, was mit den Handschuhen gar nicht so einfach war.
    »Brutal kalt!« schrie Hadan und half ihm. »Nicht gut.«
    »Rauf?«
    »Ja! Aber bleib immer in der Nähe eines Sherpas! Ich gebe über Funk durch, wenn wir umkehren müssen. So, dein Regler ist offen.«
    »Wer ist das, der sich gerade ins Fixseil einklinkt?«
    »Gyalzen! He, Gyalzen! Warte auf Jonas!«
    Jonas schulterte seinen Rucksack, der mit der Sauerstoffflasche bedeutend schwerer war als am Vortag, nahm den Eispickel und hängte sich hinter dem Sherpa ins Seil. Die Maske schob er wieder nach oben, um sich verständlich machen zu können.
    »Gyalzen. Wieso brechen wir heute so früh auf? Ist es so weit? Schaffen wir es sonst nicht an einem Tag?«
    »Wir schaffen alles«, kam es von oben.
    »Wieso so früh?« schnaufte Jonas und setzte die Maske auf, er war schon nach wenigen Metern außer Atem.
    »Sobald die Sonne in die Wand scheint, schmilzt das Eis«, schrie hinter ihm Alex, der Bergführer, gegen den Wind an. »Das System aus Fels, Schnee und Eis wird instabil, und es kommt immer wieder mal was runter. Zumindest die Stellen, die am meisten ausgesetzt sind, sollten wir vorher überwinden. Schon mal einen Felsbrocken in der Größe eines Medizinballs auf den Kopf gekriegt?«
    »Sag nicht, mit so

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