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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Er fragte sich, wie er bei all den Pillen und Tropfen, die er schluckte, überhaupt noch so etwas wie Kopfschmerzen empfinden konnte.
    Aber im Grunde war es ihm egal. Wenn er die Augen geschlossen hielt, ging es. Solange er Ruhe hatte.
    »Hier stinkt es«, sagte Manuel.
    »Ich bin das nicht«, sagte Nina.
    »Willst du wirklich jetzt schon anfangen?« fragte Jonas, als Nina die Sauerstoffmaske aufsetzte.
    »Was bleibt mir anderes übrig? Ohne Maske überlebe ich den Gestank nicht. Was hast du bitte mit deinen Füßen gemacht, Manu?«
    »Wir sind hier beim Bergsteigen, nicht in einem Violinkonzert«, gab Manuel beleidigt zurück. »Deine duften sicher auch nicht nach ätherischen Essenzen.«
    »Nach ätherischen Essenzen? Wie kommst du denn auf so was?«
    »Nina, ich weiß nicht, ob das gut ist«, mischte sich Jonas ein, obwohl ihm das Reden schwerfiel und er nach Luft rang. »Erstens hat Hadan gesagt, unser Vorrat an künstlichem Sauerstoff ist nicht groß genug, um uns schon in der Nacht an die Flasche hängen zu können, und zweitens frage ich mich, ob es nicht grundsätzlich zu früh ist. Morgen beim Aufstieg brauchst du die Flasche, nicht jetzt.«
    »Würdest du mich bitte meinen Everest besteigen lassen, wie ich will, und deinen besteigen, wie du willst?«
    Sie setzte die Maske auf und drehte sich um, als wollte sie schlafen.
    »So geht das schon den ganzen Tag«, sagte Manuel, ebenfalls schwer atmend. »Im Basislager ist sie das reinste Streichelküken, und sowie es über den Eisbruch hinausgeht, beginnt sie zu spinnen. Verträgt die Höhe überhaupt nicht.«
    Nina riss sich die Maske vom Gesicht und schlug Manuel damit über den Rücken.
    »So kann man ja nicht atmen!« rief sie wütend. »Und dir geb ich gleich Streichelküken!«
    »Es wäre möglicherweise hilfreich, den Regler aufzudrehen«, sagte Jonas vorsichtig.
    »Und du komm mir nicht blöd!« sagte sie und stach mit dem Finger in seine Richtung.
    Sie drehte den Regler auf höchste Durchflussstärke und legte sich wieder hin. Manuel zeigte ihr die Zunge. Jonas streckte sich neben seinem knabenhaft schmalen Nachbarn aus und bemühte sich, ihm genug Platz zu lassen.
    »Wärmer wird es, wenn wir näher zusammenrücken«, sagte Manuel.
    »Mir ist nicht kalt«, sagte Jonas.
    »Er will ausdrücken, er ist nicht schwul«, sagte Nina unter der Maske hervor.
    »Was soll der Schwachsinn?« keuchte Manuel. »Ich bin auch nicht schwul!«
    »Du bist schwuler als schwul. Du bist dreimal so schwul wie Elton John.«
    »Wie kommst du auf so einen Mist? Schwul, ich?«
    »Das sieht doch ein Blinder. Du steigst ja sogar schwul eine Eiswand hoch. Du wackelst in der Lhotse-Wand mit dem Ärschchen.«
    »Du hast einen Dachschaden, weißt du das?«
    »Ich habe keinen Dachschaden, ich habe bloß eine gute Beobachtungsgabe.«
    »Dann hast du einen Sehfehler.«
    »Wie heißt denn deine Freundin? Ach ja, du hast sie noch gar nie erwähnt, komisch.«
    »Darf man nicht Single sein?«
    »Alles darf man sein, Single, schwul, verheiratet, geschieden, man darf bloß nicht so tun, als wäre man nicht, was man ist.«
    »Ich tu doch nicht so, als wäre ich etwas nicht, was ich bin!«
    »Doch, das machst du. Du stehst auf Männerkörper. Ich bin doch nicht blöd, ich kenne dich nun schon eine Weile, ich sehe so was. Schau dir mal deine Hände an.«
    »Was hat denn das jetzt mit meinen Händen zu tun?«
    »So etwas habe ich noch nie gesehen. Du machst ja sogar auf 7000 Metern Maniküre. Wo andere ums Überleben kämpfen, leckt sich der Herr das Fell.«
    Während sich Jonas immer entnervter fragte, woher die beiden die Energie und die Luft für derartige Lächerlichkeiten nahmen, steckte Hadan den Kopf ins Zelt.
    »Licht aus, Kinder, es wird geschlafen. Wir müssen früh – was ist denn das? Was machst du mit dem Sauerstoff? Der ist doch nicht für deinen Nachtschlummer gedacht!«
    »Ich prüfe nur, ob ich damit atmen kann.«
    »Natürlich kannst du damit atmen, es befindet sich Sauerstoff in der Flasche und kein Giftgas!«
    »Das Giftgas verströmt schon der mit seinen Socken«, schimpfte Nina und packte Maske und Sauerstoffflasche weg. »Seine Socken haben bereits Namen und kommen bald in die Schule. Sie sprechen! Ich höre sie miteinander flüstern!«
    »Wenn wir runterkommen, wirst du selbst noch weitaus schlimmer riechen«, sagte Hadan. »Und hast du eine Vorstellung davon, was so eine Flasche kostet? Ich will dich nicht noch mal damit sehen, verstanden? Wir brechen früh auf, also

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