Das große Buch der Lebenskunst
Gelassenheit.
Mit allem eins
M enschen, die nicht im Einklang mit sich selbst sind, haben Angst vor der Einsamkeit. Wenn sie allein mit
sich sind, dann taucht die innere Zerrissenheit in ihnen auf. Davor möchten sie am liebsten davonlaufen. So beschäftigen sie sich ständig mit irgendetwas,
um ihrer Einsamkeit auszuweichen. Das deutsche Wort »Einsamkeit« hat jedoch in sich einen positiven Klang. Es ist zusammengesetzt aus »ein«, das nicht nur
die Zahl eins meint, sondern ein Einssein. Das Verschiedene ist miteinander eins. Das Suffix »sam« bedeutet »mit etwas übereinstimmend«. Der Einsame
stimmt mit seinem Einssein überein. Er sagt innerlich Ja dazu, dass er eins ist, einzig auf dieser Welt und zugleich im tiefsten Grund allein. Doch dieses
Alleinsein stört ihn nicht. Er stimmt damit überein. Denn er weiß, dass er in seiner Einsamkeit mit allem eins ist, mit sich selbst, mit den Menschen und
mit Gott.
Die Einsamkeit umarmen
A lle Religionen haben die Einsamkeit als wichtigen Weg zu Gott gepriesen. Paul Tillich meinte einmal,
Religion sei das, was jeder mit seiner Einsamkeit anfange. Und lange vor ihm hat Lao-Tse über die Einsamkeit geschrieben: »Gewöhnliche Menschen hassen die
Einsamkeit, doch der Meister nutzt sie, umarmt sein Alleinsein und erkennt, dass er eins ist mit dem gesamten Universum.« Wer sein Alleinsein bewusst
annimmt, der kann die Erfahrung machen, dass er mit allem eins ist. Das ist ja auch der Sinn des deutschen Wortes »allein«. Es bedeutet: »all-eins«, mit
allem eins zu sein. Wer sich auf den Grund seiner Einsamkeit wagt und nicht vor ihr davonläuft, der darf spüren, dass er auf dem Grund seiner Seele mit
allem eins ist, was in dieser Welt existiert. Alles hängt miteinander zusammen. In der Tiefe ist alles eins. So zeigt uns die Einsamkeit den Weg in den
Grund der Welt, auf dem unser Dasein gründet.
Einzigartig
V on Hermann Hesse stammt das bekannte Wort: »Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern, jeder
ist allein.« Das Wort kann als Klage über die menschliche Einsamkeit verstanden werden. Es kann aber auch eine positive Aussage über unser Wesen sein. In
der Tiefe jedes Menschen erfährt er sich allein. Es gibt einen Grund in mir, in den die anderen nicht schauen und den sie nicht verstehen können. Aber
diese Erfahrung der Einsamkeit isoliert mich nicht. Vielmehr gibt sie mir meine wahre Würde. Ich bin als einsamer auch einzigartig. So wie ich fühle,
fühle nur ich. So wie ich sehe, sehe nur ich. Wenn ich das bewusst erlebe, dann bin ich dankbar für mein Einsamsein. Denn ich spüre, dass ich gerade in
meiner Einsamkeit und Einzigartigkeit etwas vom Wesen Gottes verstehe, der von sich sagt: »Ich bin der ich bin.« In meinem Einsamsein spüre ich, was es
heißt: »Ich bin. Ich bin einfach da. Ich lebe.«
Schau auf den Grund
F riedrich Nietzsche hat den Sinn der Einsamkeit verstanden, wenn er schreibt: »Wer die letzte Einsamkeit
kennt, kennt die letzten Dinge.« Wer seine Einsamkeit in der letzten Tiefe annimmt, der kommt in Berührung mit den letzten Dingen, mit dem Wesen aller
Dinge, letztlich mit Gott, dem Urgrund allen Seins. Er schaut in den Abgrund des Geheimnisses unseres Lebens. Und auf dem Grund allen Seins wird ihm alles
klar. Das ist der Sinn der Kontemplation, wie ihn die frühen Kirchenväter verstanden haben: Ich schaue auf den Grund. Dort ist mir alles klar. Ich sehe
nicht etwas Bestimmtes. Ich kann nicht erklären, was ich sehe. Es ist vielmehr ein reines Schauen, für das alles klar wird. Alles klärt sich auf, auch
wenn es unerklärlich bleibt.
Wahre Einkehr
E in Weg, um mit sich in Einklang zu kommen, ist die Einkehr. Wer bei sich selbst einkehrt, der entdeckt
den inneren Reichtum seiner Seele. Im Innern – so hat es Augustinus erfahren – begegnen wir Gott. Denn Gott ist uns innerlicher als wir es uns selbst
sind. Viele Menschen kehren lieber in eine Wirtschaft ein. Das kann auch schön sein, wenn man nach langer Wanderung einkehrt und Erquickung erfährt. Doch
die wahre Einkehr geschieht in uns selbst. Manche meinen, diese Einkehr sei entweder langweilig oder aber gefährlich, weil man ja das innere Chaos
entdecken könnte. Doch nur wer es wagt, bei sich einzukehren, kann zur Einheit mit sich gelangen und zum Einklang mit sich kommen.
Innerlich heiter
M enschen, die zu viel vom Leben erwarten, tun sich schwer damit, einverstanden zu sein mit ihrem
Leben. George Bernard
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