Das große Buch der Lebenskunst
»Nachfolge Christi«, die neben der Bibel seit dem 15. Jahrhundert über
lange Zeit das meistgelesene Buch war, gibt den Grund für den Unfrieden an, in dem viele Menschen leben: »Wir könnten in Frieden leben, wenn wir uns nicht
pausenlos mit dem beschäftigen würden, was andere Leute sagen und tun.« Dieses Wort ist heute genauso aktuell wie damals. Viele Menschen kreisen ständig
darum, was andere von ihnen denken oder was sie über sie sagen. Sie haben Angst, die anderen könnten schlecht von ihnen reden. Eine andere Gruppe von
Menschen beschäftigt sich mit den Worten und Taten anderer. Sie regen sich ständig darüber auf, was der oder jene gesagt oder getan hat. Sie lesen in der
Zeitung oder in der Illustrierten die Skandalgeschichten irgendwelcher Schauspieler oder Adliger, um sich darüber zu entsetzen. Statt mit sich in Frieden
zu leben, brauchen sie andere, um ihren inneren Unfrieden auf sie zu projizieren. Doch das geben sie nicht zu. So sind sie immer unzufrieden mit der Welt
und letztlich mit sich selbst. Herzensruhe stellt sich ein, wenn wir mit den anderen versöhnt sind und sie so sein lassen können wie sie sind. Und
wirklicher innerer Friede ist ein Raum, in dem wir mit uns selbst und mit unserer Umgebung, ja mit der ganzen Schöpfung in Einklang leben.
Eins mit uns selbst
M it sich selbst eins sein, das möchten wir im Grunde alle. Die Frage ist, wie das geht. Jesus zeigt uns
im Johannesevangelium einen Weg. Da bittet er seinen Vater für seine Jünger, dass »sie eins sind wie wir« (Joh 17,11). Diese Bitte bezieht sich nicht nur
auf die Einheit der Christen untereinander, sondern auf die Einheit mit uns selbst. Wir werden nur eins mit uns selbst, wenn wir es machen wie Jesus, der
vom Himmel herabgestiegen ist, um alles Menschliche in die Einheit mit Gott hineinzunehmen. So werden auch wir nur eins, wenn wir den Mut haben, in die
Tiefen unseres Menschseins, in die Abgründe unserer Seele, in die Tiefen unseres Unbewussten hinabzusteigen. Nur das, was wir selbst berühren, kann in die
Einheit mit Gott kommen. Und nur dann werden wir einverstanden sein mit uns selbst. Denn alles in uns ist dann von Gottes Liebe erfüllt. Mit uns eins sein
vermögen wir nur, wenn wir uns zugleich in Gott wissen. So betet Jesus: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch
sie in uns sein.« (Joh 17,21)
Schwäche wird Stärke
W a s uns am meisten hindert, mit uns in Einklang zu kommen, ist die Ablehnung gegenüber so vielem, was
wir in uns wahrnehmen. Wir haben ein so hohes Idealbild von uns, dass wir uns schwer tun, uns mit unserer Realität auszusöhnen. Friedrich Nietzsche sagt
zu solchen Menschen, die sich nicht verzeihen können, dass sie so sind, wie sie sind – und vermutlich auch zu sich selbst: »Wirf das Missvergnügen über
dein Wesen ab! Verzeihe dir dein eigenes Ich!« Wie soll das geschehen, mir mein eigenes Ich verzeihen? Ich kann doch nichts dafür, dass ich so bin, wie
ich bin. Doch in meiner Seele entdecke ich Vorwürfe gegen mein Ich. Ich kann mir nicht vergeben, dass ich diese Schwächen habe, diese Eigenschaften, die
ich gar nicht an mir mag. Doch erst wenn ich mir selbst vergeben kann, verlieren diese vermeintlichen Schwächen ihre destruktive Kraft. Wenn ich mir
vergebe, wandeln sich meine Schwächen auf einmal in Stärken um. Dann wird mein mangelndes Selbstvertrauen zur Fähigkeit, andere zu verstehen und sie
aufzurichten.
Das einzige Gebet
E in wichtiger Weg, in Einklang mit sich selbst zu kommen, ist die Dankbarkeit. Meister Eckhart schreibt:
»Wenn das einzige Gebet, was du in deinem ganzen Leben sagst, ist: ,Ich danke dir‘, das würde genügen.« Viele Menschen bitten Gott, er möge sie doch
stärker und gesünder und erfolgreicher machen. Sie können sich nur annehmen, wenn sie so werden, wie sie es sich selbst vorstellen. Dafür möchten sie Gott
einspannen. Meister Eckhart meint, das tiefste Gebet sei das Danken. Meister Eckhart sagt gar nicht, wofür wir danken sollen. Das einfache »Ich danke dir«
genügt. Das kann ich immer und überall sagen. Wenn mir etwas gelungen ist, bete ich: »Ich danke dir.« Wenn mir etwas misslungen ist, fällt es schon
schwerer, dieses Gebet zu sprechen. Doch wenn ich es trotzdem über die Lippen bringe, werde ich das Geschehen anders erleben. Mitten im Misslingen bin ich
doch im Frieden mit mir selbst. Ich danke dir, dass ich frei geworden bin von
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