Das große Buch vom Räuber Grapsch
Sumpf. Der Schnee war noch nicht weggetaut, und nun schien die Sonne darauf.
„Komm raus, Olli", rief er in die Höhle hinein. „Lass uns eine Weile am Sumpf sitzen, wie im Sommer. Das war immer so schön."
Und er wischte den Schnee von der Ofentür.
„Jetzt?", fragte Olli. „Dazu ist es doch viel zu kalt. Du holst dir eine Blasenentzündung."
„Ich hol mir nie was", knurrte Grapsch.
„Außer wenn du Fliegenpilze isst", bemerkte Olli spitz. „Und ich mach jetzt Klöße. Die zerfallen mir, wenn ich sie nicht rechtzeitig vom Feuer nehme."
„Ich esse sie so und so", sagte Grapsch friedlich. „Also komm." Sie hatte es wunderbar warm auf seinem Schoß und in seinem Bart, und sie sah, dass der Sumpf auch im Winter schön war. Wie Puderzucker lag der Schnee auf Schilf und Binsen. „Ja, ja", sagte sie sanft, „aber jetzt ist's genug. Du musst dich schonen."
„Schonen?", rief er. „Ich kann sogar schon rennen!" Er hob sie von seinem Schoß, rannte auf die Höhle zu, übersah das Grab und fiel hinein. Und weil er noch so schwach war, kam er nicht allein wieder heraus. Olli musste erst mit dem Spaten zu ihm hinunterklettern und ein paar Stufen für ihn graben. Dabei wurden ihr die Füße nass und kalt, denn sie hatte nur Pantoffeln an. „Hätte ich doch das Grab zugeschüttet!", klagte sie. „Nein", meinte er, „das wär zu schade. So ein Grab kann man immer mal brauchen. Und jetzt fall ich bestimmt kein zweites Mal hinein."
Er wollte ihr helfen, die Stufen zu graben, aber schon nach ein paar Spatenstichen hatte er keine Puste mehr. Kleinlaut gab er ihr den Spaten zurück. „Hätt ich die Klöße schon gegessen, hätte ich mehr Kraft", murmelte er.
„In diesem Herbst hatten wir wirklich eine Menge Pech", keuchte sie und nieste dreimal nacheinander, „und der Winter fängt auch schon böse an."
„Wieso?", fragte er erstaunt. „Ich hab doch solches Glück gehabt. Ich hätte ja an den Fliegenpilzen eingehen können. Und eben, als ich ins Grab gepurzelt bin, hab ich mir nicht das Genick gebrochen."
Bis Olli ihren Tassilo endlich aus dem Loch heraushatte, war ihr die Kälte aus den Füßen in die Beine und aus den Beinen in den Leib gestiegen. Während er sich, kaum zurück in der Höhle, über Klöße und Kloßbrühe hermachte, legte sie sich mit Kopfweh ins Laub. Gegen Abend bekam sie Schüttelfrost und musste jede Viertelstunde auf den Nachttopf.
„Das ist die Blase", sagte sie. „Ich hab mir die Blase erkältet."
„Für mich, du Gute", sagte er schuldbewusst. „Komm in meinen Bart."
Am nächsten Morgen ging es ihr noch schlechter. Er machte sich das Frühstück selber. Alle Vorräte, die noch da waren, schüttete er in die Pfanne und verrührte sie: das letzte Glas Senf, dreizehn Puddingpulver, sechs Brühwürfel, ein paar Scheiben Räucherlachs, vierundzwanzig Marzipankugeln, drei Becher Jogurt und ein Kilo Gänsefett. Es roch absonderlich, was er da zusammenbrutzelte. Er bot auch ihr davon an, aber sie hatte keinen Appetit. Und die Blase tat ihr so weh.
Als er die Pfanne leer gegessen und ausgeleckt hatte, hockte er sich bekümmert neben sie.
„Es geht dir schon besser, nicht wahr?", fragte er alle Augenblicke. Aber es ging ihr nicht besser. Im Gegenteil. Das Fieber stieg den ganzen Tag. Am Abend stöhnte sie vor Schmerzen. „Blasentee brauch ich", jammerte sie. „Wenn ich nur Blasentee hätte! DOKTOR SCHNUFFS Blasentee. Der hat auch meiner Tante Hedwig immer geholfen. Den gibt's nur in Apotheken."
„Wenn's weiter nichts ist", sagte er und erhob sich, „den kann ich dir besorgen."
„Du wirst ihn doch nicht etwa rauben gehen?", rief Olli erschrocken. „Du kannst doch selber noch kaum auf den Füßen stehen."
„Du vergisst, dass ich gut gefrühstückt hab", sagte er. „Und es soll ja auch kein großer Raubzug werden. Nichts als Blasentee. Der Apotheker ist nur ein Männchen. Den tunke ich mit dem kleinen Finger einfach in seine Salben, wenn er mir Schwierigkeiten machen sollte."
„Ich habe so düstere Vorahnungen, Tassilo", seufzte Olli. „Was mach ich, wenn du nicht zurückkommst?"
„Die Polizei hat mich noch nie geschnappt, das weißt du doch", antwortete er.
Alles wegen DOKTOR SCHNUFFS Blasentee
Er ließ den Sack vor dem Eingang hängen, nahm seine beiden Pistolen und die Taschenlampe und stapfte hinaus. „Aber es liegt doch Schnee!", rief Olli. „Sie werden deine Spuren sehen."
„Es wird wärmer - spürst du's nicht?", rief Grapsch von draußen zurück.
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