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Das große Buch vom Räuber Grapsch

Das große Buch vom Räuber Grapsch

Titel: Das große Buch vom Räuber Grapsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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blieb auch Grapsch schwach. Meistens ging er in seiner engen Zelle hin und her, hin und her wie ein gefangener Tiger. Er begann wieder mit sich zu reden. Er sprach auch mit den Fliegenpilzen: „Hätt ich euch rote Teufel nicht gegessen, wär ich jetzt nicht so schwach. Dann hätte ich dieses lächerliche Gefängnis längst in Stücke geschlagen."
    Damit übertrieb er nicht. Denn das Gefängnis klebte, alt und schief, an der Rückseite der Polizeiwache wie eine Rucksacktasche am Rucksack und bestand nur aus einer einzigen Zelle. Außer Tassilo Grapsch gab es ja niemanden im Juckener Ländchen, den man hätte einsperren müssen.
    Er sprach auch mit den Socken, die ihm Olli gestrickt hatte. Manchmal zog er sie von den Füßen, hielt sie sich an die Wangen und nannte sie „meine Lieben". Am häufigsten aber sprach er mit Olli. „Halt aus", sagte er, wenn er, auf Zehenspitzen, durch das kleine Fenster hinausstarrte und in der Ferne den verschneiten Raben-horster Wald liegen sah. „Halt aus, Olli. Schau, dass du auch ohne DOKTOR SCHNUFFS Blasentee gesund wirst. Den haben sie mir abgenommen, diese Halunken. Ich warte hier nur auf eine Gelegenheit auszubrechen. Ich komme wieder. Halt dir die Blase warm und verlier den Mut nicht."

OH DU FRÖHLICHE   in der Höhle

    Und Olli ? Ja, sie war auch ohne den Tee wieder gesund geworden und sie wusste, was ihrem Tassilo zugestoßen war. In den Nachrichten war es gemeldet worden. Seitdem ließ sie den ganzen Tag ihr kleines Kofferradio laufen, in der Hoffnung, es käme auch die Meldung, dass der Räuber Grapsch ausgebrochen sei. Denn dass er die erstbeste Gelegenheit benutzen würde, um zu fliehen, das wusste sie genau. Aber nach zwei Wochen waren die Batterien leer, und sie hörte nur noch den Wald rauschen und das Feuer prasseln. Sie bekam ein sehr scharfes Gehör. Sie hörte jedes Knacken vor der Höhle, und jedes Mal hoffte sie, dass es Grapsch war. Manchmal, an windstillen Tagen, ging sie ein paar Schritte vor die Höhle und sagte: „Hab nur keine Angst um mich, Tassilo. Ich schaff's schon allein. Ich geh nicht zurück zur Tante Hedwig.
    Darauf kann sie lange warten. Die würde sowieso nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Hab nur Geduld. Du kommst wieder frei. Jedenfalls können wir uns aufeinander verlassen, nicht wahr ?" Sie wurde dicker und dicker, und es kam ihr vor, als rührte sich was in ihrem Bauch. Erst dachte sie an einen Bandwurm, und ihr wurde ganz bange. Aber einmal, beim Nüsseaufknacken, kam ihr eine Idee. „Du liebe Güte", rief sie, „ich glaub, ich krieg ein Kind!" Sie wurde ganz närrisch vor Freude, lief hinaus vor die Höhle und rief, so laut sie konnte: „Tassilo, wir kriegen ein Kind!" Als es noch kälter wurde, holte sie kein Wasser mehr vom Bach, sondern brach morgens die Eiszapfen von der Höhlendecke und taute sie auf. Alles Holz, das sie gehackt hatte, räumte sie in die Höhle hinein, hängte auch noch Grapschs rosa Steppdecke vor den Eingang und zog sich Frau Stolzenrücks Pelzmantel über. Sie tat nur noch viererlei: heizen, essen, schlafen - und stricken. Sie strickte lauter winzige Jäckchen und Höschen und einen niedlichen kleinen Schlafsack. Und das Feuer ließ sie nicht mehr ausgehen. Morgens aß sie Bucheckern, mittags Brombeermarmelade, abends Haselnüsse, und einmal in der Woche legte sie einen Fastentag ein. Oh ja, sie tat noch etwas: Auf ihrem Kalender kreuzte sie jeden neuen Tag an.
    Am 23. Dezember wusch sie ihre Kleider und trocknete sie am Feuer. In den Pelzmantel gehüllt, kehrte sie die Höhle aus und wischte die Spinnweben aus den Ecken. Hinter der Höhle hackte sie eine winzige Fichte ab, stellte sie auf den Tisch und schmückte sie mit einer Kerze.
    Am Heiligen Abend zog sie sich ein frisch gewaschenes Kleid an, schob besonders dicke Holzscheite ins Feuer, zündete die Kerze an, legte sich ins Laubbett und sah dem flackernden Licht zu. Dabei sang sie „Oh du fröhliche ..." und dachte an Grapsch. Sie sehnte sich so sehr nach ihm, dass sie plötzlich wild entschlossen aufsprang und ihre Schuhe anzog.
    „Jetzt ist mir alles egal", sagte sie laut. „Ich muss zu ihm! Und vielleicht - vielleicht sperren sie mich zu ihm in die Zelle ?" Der Schnee lag hoch. Jeder Schritt war mühsam. Sie kam nur bis zum Sumpf. Der war zugeschneit. Sie konnte nicht erkennen, wo sie hintreten musste, um ihn zu überqueren. Und sie wagte nicht auszuprobieren, ob der Morast so tief gefroren war, dass er sie trug. So kehrte sie wieder um,

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