Das große Doppelspiel
unten
an den Eingangsstufen und sah mit unbewegter Miene zu ihr hoch. Er
öffnete ihr ohne ein Wort den Wagenschlag, und sie stieg ein.
Dubois kam mit den Koffern. Er legte sie in den
Kofferraum und trat, als René sich ans Steuer gesetzt hatte, ans
Fenster. »Würden Sie der Frau Gräfin bitte
Grüße von meiner Frau und mir ausrichten,
Mademoiselle?«
Ohne zu antworten, kurbelte Geneviève das
Fenster hoch und tippte René auf die Schulter. Während sie
vom Hof rollten, sah sie, daß er sie im Rückspiegel
beobachtete und daß seine Augen wieder einen besorgten Ausdruck
hatten.
Jetzt fangt es erst richtig an, dachte sie mit einer
Mischung von Nervosität und Erregung. Sie lehnte sich zurück
und nahm eine neue Gitane aus dem Etui.
Die Landschaft ringsum, die grünen Felder und die
kleinen Haine, die Hügel zu ihrer Linken, der schmale Fluß
im Tal vor ihnen, dessen Wasser in der Frühmorgensonne glitzerte
–: alles das wurde ihr immer vertrauter. Rechts trieb ein
Schäfer seine kleine Herde über eine Erhebung.
»Das Land der Kindheit, René. Nichts hat sich geändert.«
»Oder alles, Mademoiselle.«
Er hatte natürlich recht. Sie zog den Mantel
enger um sich, denn es war ausgesprochen frisch. Sie näherten sich
einem kleinen Dorf, einem Weiler namens Pougeot, an den sie sich gut
erinnerte.
Sie beugte sich vor. »Als wir klein waren, haben
Sie hier immer vor dem Café auf dem Marktplatz gehalten, damit
wir uns ein Eis holen konnten. Der Wirt hieß Danton, und seine
Tochter hat bedient. Sind sie immer noch da?«
»Er ist letztes Jahr erschossen
worden, wegen Sabotage, wie die Boches es nennen. Seine Tochter ist in
Amiens im Gefäng nis. Das Haus mit dem Café wurde
beschlagnahmt und dann verkauft. Comboult hat es gekauft.«
»Papa Comboult? Aber … Das verstehe ich nicht.«
»Es ist ganz einfach. Er arbeitet für sie
wie so viele andere, er macht Geschäfte mit ihnen, und dabei
verdient er ein Ver mögen. Leute wie er ernähren sich
vom Fleisch Frankreichs. Wie ich eben gesagt habe, es ist alles anders,
Mademoiselle.«
Auf den Feldern arbeiteten Frauen, und als sie durch
das Dorf fuhren, bemerkte sie, daß die Straßen sonderbar
verlassen waren. »Man sieht nicht viele Leute.«
»Die meisten arbeitsfähigen Männer
sind als Zwangsarbeiter nach Deutschland gebracht worden. Die Frauen
bewirtschaften die Höfe. Sie hätten sogar einen alten Kerl
wie mich genom men, obgleich ich nur noch ein Auge habe. Die
Gräfin hat es verhindert.«
»Und für die anderen konnte sie nichts tun?«
»Was sie kann, tut sie, Mademoiselle. Aber
heutzutage ist in Frankreich alles sehr schwierig. Das werden Sie sehr
schnell merken.«
Hinter einer sanften Kurve stand ein schwarzer
Mercedes am Straßenrand. Die Kühlerhaube war hochgeklappt,
und ein deut scher Soldat machte sich am Motor zu schaffen.
Daneben war tete ein Offizier, der eine Zigarette rauchte.
»Meine Güte, das ist Reichslinger«,
sagte René, als der Offi zier sich umdrehte und eine Hand
hob. »Was soll ich tun?«
»Anhalten natürlich«, sagte Geneviève gelassen.
»Sie verachtet diesen Burschen, Mademoiselle. Und sie zeigt es ihm.«
»Und er gibt sich um so mehr Mühe?«
»Genau.«
»Gut. Sehen wir mal, wie es läuft. Eine kleine Generalpro be.«
Sie machte die Handtasche auf, nahm die Walther
heraus, die Craig ihr gegeben hatte, und steckte sie in die rechte
Man teltasche. Der Rolls-Royce hielt, und sie kurbelte das Fenster
herunter, während Reichslinger auf sie zutrat.
Er sah genauso aus wie auf dem Foto. Blond, dicht
beisam men stehende Augen unter dem Schirm der Mütze, eine
ag gressive Ausstrahlung. Und die Uniform mit den SS-Runen auf dem
Kragen machte ihn nicht einnehmender.
Er lächelte, was nur bewirkte, daß er noch
unsympathischer aussah. »Mademoiselle Trevaunce. Heute ist mein
Glückstag«, sagte er auf französisch.
»Ach ja?« entgegnete Geneviève kühl.
Er deutete zum Wagen. »Die Benzinpumpe arbeitet
nicht richtig, und dieser idiotische Fahrer ist anscheinend nicht
im stande, sie in Ordnung zu bringen.«
»Und?« fragte sie.
»Unter diesen Umständen muß ich Sie bitten, mich mitzu nehmen.«
Sie schwieg eine Weile, ließ ihn warten, bis
seine eingefalle nen Wangen sich langsam rot färbten, und
dann sagte sie: »Die Herrenrasse bittet die Besiegten? Kann ich
etwas anderes sagen als ja?«
Sie lehnte sich zurück und schloß das
Fenster. Er eilte zur anderen Seite des Wagens, stieg neben ihr
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