Das große Haus (German Edition)
genug vorkam, fügte ich hinzu: Ich rufe aus Jerusalem an. Einen Augenblick war er still, als versuchte er sich dorthin zurückzudenken, wo der Name – meiner oder der der Stadt – ihm etwas bedeutet hatte. Auf einmal lachte er. Ich erzählte ihm, ich hätte mich scheiden lassen. Er erzählte mir, er habe einige Jahre mit einer Frau in Kopenhagen zusammengelebt, aber das sei nun vorbei. Unter Druck wegen des Ferngesprächs, setzten wir das nicht lange fort. Nachdem das Gröbste aus unserem Leben gesagt war, fragte ich ihn, ob er manchmal an Daniel Varsky denke. Ja, sagte er. Vor ein paar Jahren wollte ich dich eigentlich anrufen. Sie haben herausgefunden, dass er eine Zeitlang auf einem Schiff festgehalten wurde. Auf einem Schiff?, echote ich. Im Laderaum, sagte Paul, mit anderen Gefangenen. Einer von ihnen hat überlebt und ein paar Jahre später jemanden getroffen, der Daniels Eltern kannte. Er sagte, sie hätten ihn ein paar Monate am Leben erhalten, aber nur gerade so. Paul, sagte ich schließlich. Ja, sagte er, und ich hörte ein Feuerzeug klicken, dann den Zug an seiner Zigarette. Hatte er ein Kind? Ein Kind?, sagte Paul. Nein. Eine Tochter, fragte ich, mit einer Israeli, mit der er kurz vor seinem Verschwinden zusammen war? Ich habe nie etwas von einer Tochter gehört, sagte Paul. Da habe ich wirklich meine Zweifel. Er hatte eine Freundin in Santiago, ihretwegen kehrte er immer wieder zurück, auch als er nicht gedurft hätte. Sie hieß Inés, glaube ich. Sie war Chilenin, soviel weiß ich. Es ist seltsam, sagte Paul, ich habe sie nie kennengelernt, aber jetzt erinnere ich mich plötzlich, dass ich vor einer Weile von ihr geträumt habe.
Während Paul sprach, kam mir der irgendwie überraschende Gedanke, dass ich ohne die besondere Logik von Pauls Träumen Daniel Varsky nie begegnet wäre und all die Jahre jemand anders an seinem Tisch geschrieben hätte. Nachdem ich aufgelegt hatte, konnte ich nicht schlafen, oder vielleicht wollte ich nicht schlafen, vor lauter Angst, das Licht auszumachen und mich dem zu stellen, was die Dunkelheit bringen würde. Um mich von Grübeleien über Daniel Varsky abzulenken oder, schlimmer noch, vom Nachdenken über mein Leben und die Frage, die mich quälte, sobald ich meine Gedanken schweifen ließ, konzentrierte ich mich auf Adam. In unerschöpflichen Einzelheiten stellte ich mir seinen Körper und die Dinge vor, die ich mit ihm und was er umgekehrt mit meinem Körper machen würde, wobei ich mir in diesen Phantasien allerdings einen anderen Körper gönnte, jenen, den ich gehabt hatte, bevor meiner fleckig wurde, aus der Form ging und sich in eine andere Richtung bewegte als ich selbst – jenen, der im Inneren existierte. Ich duschte, als der Morgen graute, und um Punkt sieben, als das Restaurant des Gästehauses öffnete, war ich dort. Rafis Gesicht umwölkte sich, als er mich sah, er zog sich hinter die Bar zurück, beschäftigte sich damit, Gläser abzutrocknen, und überließ es dem anderen Kellner, mich zu bedienen. Ich trödelte mit dem Kaffee, und da mein Appetit zurückgekehrt war, ging ich noch zweimal ans Büffet. Aber Rafi mied beharrlich meinen Blick. Erst als ich den Saal verließ, rannte er mir bis in den Flur hinterher. Miss!, rief er. Ich drehte mich um. Er knetete eine breite Hand mit der anderen, blickte über die Schulter zurück, ob wir allein waren. Bitte, stöhnte er, ich bitte Sie. Lassen Sie sich nicht mit ihm ein. Ich weiß nicht, was er Ihnen erzählt, aber er ist ein Lügner. Ein Lügner und ein Dieb. Er benutzt Sie, um mich vorzuführen. Ich war kurz vor einem Wutausbruch, was er meinem Gesicht angesehen haben muss, denn er beeilte sich, mir alles zu erklären. Er will meine eigene Tochter gegen mich aufbringen. Ich habe ihr verboten, ihn zu sehen, und er will – begann er, aber in diesem Moment näherte sich der Direktor des Gästehauses vom anderen Ende des Flurs, und der Kellner verbeugte sich, bevor er eiligen Schrittes verschwand.
Von da an hatte ich nichts anderes mehr im Sinn, als Adam zu verführen. Was war er schon, dieser Kellner? Eine summende Fliege, die um ein Begehren kreiste, das ich nicht mehr beherrschen konnte, nicht mehr beherrschen wollte, Euer Ehren, weil es das einzige Lebendige war, das in mir übrig blieb, und weil ich mich, solange es mich verzehrte, nicht mit jenem Blick auf mein Leben, der so unerträglich in den Mittelpunkt gerückt war, auseinandersetzen musste. Es bereitete mir sogar ein gewisses amüsiertes
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