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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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angekommen, nicht mehr gelang, sich den neuen Breitengraden ihrer Existenz anzupassen. Während ich die Ansammlung der farbverblichenen Kinderfotos auf dem Büffet betrachtete – lächelnde, rotwangige Kleinkinder und linkische B’nei Mizwa, die inzwischen wahrscheinlich eigene Kinder hatten –, verschwand Adam einen mit Teppichen belegten Flur hinunter. Nach ein paar Minuten rief er mich. Ich folgte seiner Stimme in ein kleines Zimmer mit Regalen voller Taschenbücher, auf deren aus den einzelnen Blöcken zusammengesetzter Oberfläche sich eine dicke Staubschicht gebildet hatte, die sogar im Licht der schwachen Lampe sichtbar war.
    Das ist er, sagte Adam mit einer durch die Luft streichenden Handbewegung. Es war ein Tisch aus hellem Holz, dessen hochgeschobener Rollladen ein kompliziertes Einlegemuster offenbarte, das die ganze Zeit vor der gleichmacherischen Staubdecke geschützt gewesen war und irritierend glänzte, als wäre der Mensch, der daran gesessen hatte, eben erst aufgestanden und weggegangen. Na, sagte Adam, gefällt er Ihnen? Ich fuhr mit dem Finger über das Holzmuster, das sich glatt anfühlte wie aus einem und nicht den vielen hundert Stücken von wer weiß wie vielen Baumarten, deren es bedurft haben musste, um die ausgeklügelte Geometrie von Würfeln und Kreisen, sich verengenden und sich weitenden Spiralen, in sich selbst gefalteten und plötzlich wie ein Ausblick auf die Unendlichkeit expandierenden Flächen zu gestalten, deren verborgene Bedeutung ihr Schöpfer mit einer Überlagerung aus Vögeln, Löwen und Schlangen verdunkelt hatte. Nur zu, drängte Adam, setzen Sie sich dran. Ich war verlegen und wollte protestieren, an einem solchen Tisch könne ich ebenso wenig arbeiten, wie ich meine Einkaufsliste für den Lebensmittelmarkt mit einer Feder schreiben könne, die Kafka gehört habe, aber um ihn nicht zu enttäuschen, ließ ich mich auf den Stuhl sinken, den er herausgezogen hatte. Wem gehört er?, fragte ich. Niemandem, sagte er. Aber sicher wollen die Leute, die hier leben … Sie leben nicht mehr hier. Wo sind sie? Tot. Und warum sind dann die ganzen Sachen noch hier? Das ist Jeruschalajim, grinste Adam, wer weiß, ob sie nicht wiederkommen. Mich packte ein Gefühl von Platzangst, ich musste dringend raus hier, aber als ich aufstand und von dem Tisch zurücktrat, fiel Adams Gesicht zusammen. Was, gefällt er Ihnen nicht? Doch, sagte ich, er gefällt mir sehr. Also was?, sagte er. Er muss ein Vermögen kosten, sagte ich. Weil Sie es sind, wird er Ihnen einen guten Preis machen, erwiderte er mit einem Grinsen, und in seinen Augen blitzte etwas wie verrostet, aber scharf. Wer? Gad. Wer ist Gad? Der, den Sie eben gesehen haben. Aber wer ist er für diese Leute? Der Enkelsohn, sagte er. Warum würde er dann nur den Tisch verkaufen wollen? Adam zuckte mit den Schultern und schloss gewandt den Rollladen. Wie soll ich das wissen?, sagte er. Wahrscheinlich hat er für den Rest noch keine Zeit gehabt.
    Adam unternahm eine ausgiebige Besichtigung, öffnete die Schubladen des Büffets und bediente den zierlichen Schlüssel eines Glasschranks, um die Judaika zu inspizieren. Er benutzte das Klo, erleichterte sich in einem langen Strahl, den ich durch die halb offen gelassene Tür hörte. Dann verließen wir die Wohnung, indem wir sie der Dunkelheit zurückgaben. Aber im Aufzug nach unten diskutierten wir wieder über den Schreibtisch, und als das Gespräch in einer schummrigen Bar weiterging, zu anderen Themen wechselte, aber immer wieder zu dem Schreibtisch zurückkehrte, entwickelte sich langsam ein prickelndes Gefühl: der Kitzel des unausgesprochenen Etwas, um das es, wie ich glaubte, eigentlich ging und für die der Tisch mit seinen verborgenen Bedeutungen nur ein Stellvertreter war.
     
    Mit den folgenden Tagen und Nächten will ich Sie, Euer Ehren, weitgehend verschonen, ohne aber mich zu schonen:
    Da sitzen wir in einem teuren italienischen Restaurant, und Adam, im selben Hemd und denselben Jeans, die er schon vier Tage am Stück getragen hat, stößt mit seinem Bier an mein Weinglas an und fragt mit einem konspirativen Lächeln, ob ich schon auf den Dreh gekommen sei für die Geschichte, deren Held er werden soll. Während wir uns ein Tiramisu mit zwei Löffeln teilen (wobei ich ihm das meiste überlasse), kommt er wie ein Leierkastenmann mit begrenztem Repertoire auf den Tisch zurück. Nachdem er die Lage erkundet hat, glaubt er, er könne Gad dazu bewegen, mit dem Preis noch ein

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