Das große Haus (German Edition)
Brecon Beacons Vögel zu beobachten. Ein Krankenwagen fuhr zur Leichenhalle ab, und der andere, der diejenigen mitnahm, die an Rauchvergiftung litten, zum Krankenhaus. Die übrigen Gäste wurden auf verschiedene Hotels in den umliegenden Ortschaften am Rande des Parks verteilt. Die Frau namens Auerbach war mit ihrem Kind für Brecon eingetragen und ich für Abergavenny, in der entgegengesetzten Richtung. Das Letzte, was ich von ihnen sah, war das verwuschelte Haar des Kindes, als es in dem Transporter verschwand. Am nächsten Tag brachte die Lokalzeitung einen Bericht über das Feuer, in dem es hieß, die Brandursache sei ein elektrischer Defekt gewesen und die Verstorbene eine Grundschullehrerin aus Slough.
Ein paar Wochen nach Lottes Tod war mein alter Freund Richard Gottlieb vorbeigekommen, um zu sehen, wie ich zurechtkam und wie es mit mir weiterging. Er war Anwalt, und Jahre zuvor hatte er Lotte und mich überzeugt, unsere Testamente zu machen – keiner von uns war praktisch genug veranlagt, um von allein darauf zu kommen. Gottlieb selbst hatte ein paar Jahre vorher seine Frau verloren, aber inzwischen jemand anderen kennengelernt, eine Witwe, acht Jahre jünger als er, die auf ihr Äußeres achtete und sich nicht gehenließ. Eine Lebenskraft, so sagte er von ihr, indem er die Milch in seinem Tee umrührte, und meinte damit, wie mir klar war, dass es schrecklich ist, allein zu sterben, alt und tatterig zu werden und mit den vielen Pillen herumzufummeln oder im Bad auszurutschen und sich den Schädel einzuschlagen, dass ich an meine Zukunft denken solle, worauf ich antwortete, ich hätte vor, ein bisschen zu reisen, sobald es wärmer würde. Wie auch immer, er ließ das so flüchtig angesprochene Thema fallen. Bevor er ging, legte er mir die Hand auf die Schulter. Willst du dir nicht überlegen, dein Testament jetzt zu ändern, Arthur?, fragte er. Richtig, sagte ich, natürlich, aber zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht daran, es zu tun. Zwanzig Jahre vorher hatten Lotte und ich einander alles vermacht. Für den Fall, dass der Tod uns beide auf einen Schlag ereilte, hatten wir die Sachen auf verschiedene Wohltätigkeitseinrichtungen sowie Nichten und Neffen (meinerseits natürlich, Lotte hatte ja keine Familie) verteilt. Die Rechte an Lottes Büchern, die kaum etwas einbrachten, sollten unserem lieben Freund Joseph Kern zufallen, einem meiner ehemaligen Studenten, der versprochen hatte, ihren Nachlass zu verwalten.
Aber auf der Rückreise von Wales, als ich in meiner immer noch nach Rauch und Asche stinkenden Kleidung im Zug saß, auf dem Schoß die Zeitung, aus der mich das Foto von der toten Lehrerin aus Slough anstarrte, schien es mir, als hätte sich das eiserne Tor des Todes geöffnet und mir einen Blick auf Lotte erlaubt. Sie war in sich , wie es in dem Gedicht heißt, und ihr Gestorbensein erfüllte sie wie Fülle. Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel, so war sie voll von ihrem großen Tode, der also neu war, dass sie nichts begriff. Und indem ich sie auf diese Weise sah, brach etwas in mir, ein kleines Ventil, das solchem Druck nicht mehr standhielt, und ich begann zu weinen. Ich dachte an das, was Gottlieb gesagt hatte. Vielleicht war es doch Zeit, etwas zu ändern.
Abends, als ich wieder zu Hause war, machte ich mir eine Mahlzeit aus Spiegeleiern und hörte Nachrichten, während ich aß. Es war der Tag, an dem General Pinochet im London Bridge Hospital, wo er sich von einer Rückenoperation erholte, festgenommen wurde. Mehrere chilenische Exilanten, die seiner Folter zum Opfer gefallen waren, wurden interviewt; im Hintergrund hörte man Jubel. Der Junge, Daniel Varsky, kam mir in den Sinn, kurz, aber lebhaft, wie er an jenem Abend vor unserer Tür gestanden hatte. Ich stellte den Fernseher an, um die Sache weiterzuverfolgen, aber wahrscheinlich auch, um zu sehen, ob irgendetwas über das Feuer oder die Frau aus Slough käme, aber es kam natürlich nichts. Man sah Bilder von Pinochet in Militäruniform, beim Vorbeimarsch seiner Truppen oder winkend auf dem Balkon des Moneda-Palasts, eingeblendet in unscharfes Bildmaterial von einem alten Mann in kanariengelbem Hemd, der halb zurückgelehnt im Fond eines Wagens von Scotland Yard saß.
Es gab einen alten, freilebenden Kater, der manchmal durch unseren Garten schlich und wusste, dass er bei mir etwas zu fressen bekam. Nachts schrie er wie ein Neugeborenes. Zum Zeichen, dass ich wieder da war, stellte ich ihm ein Schälchen Milch nach draußen.
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