Das große Haus (German Edition)
gestehe, es gab unrühmliche Zeiten, auf die ich nicht gerade stolz bin, in denen ich mich in die Niederungen der Vorstellung begab, sie verheimliche mir etwas, um mich vorsätzlich zu verraten. Aber mein Verdacht war stets kleinlich und belanglos, das Misstrauen eines Mannes, der fürchtet, seine Kraft (ich vertraue darauf, dass ich mit dir offen darüber reden kann, sagte ich zu Gottlieb, dass dir nicht fremd ist, was ich zu sagen versuche), seine Sexualkraft, die über Jahrzehnte dieselben Erwartungen erfüllen soll, sei im Ansehen seiner Frau gesunken, sie, die er immer noch schön findet, die immer noch Lustgefühle in ihm weckt, fühle sich von seinem abgewrackten, schlaffen Zustand unter der Bettdecke nicht mehr erregt – eines Mannes, der, um die Sache noch komplizierter zu machen, das Beispiel seiner eigenen Lust auf vollkommen fremde weibliche Geschöpfe, auf manche seiner Studentinnen oder Frauen seiner Freunde als unbestreitbaren Beweis für die Lust nimmt, die seine Frau in Bezug auf andere Männer als ihn empfinden muss. Verstehst du, wenn ich ihr misstraute, waren es Zweifel an ihrer Loyalität, wobei ich allerdings zu meiner eigenen Verteidigung auch sagen möchte, dass es nicht oft vorkam und dass es im Übrigen nicht immer einfach ist, das Recht seiner Frau auf Schweigen so zu respektieren, wie ich es versucht habe, das eigene Bedürfnis nach Bestätigung zu unterdrücken, Fragen zu ersticken, bevor sie richtig aufgekommen oder gar über die Lippen geschlüpft sind. Ein Mann müsste schon besser als ein Mensch sein, wenn er sich unter diesen Bedingungen nicht gelegentlich gefragt hätte, ob Lotte in jene größeren, vor langer Zeit mit gegenseitiger Zustimmung vereinbarten Formen des Schweigens nicht andere, gewöhnlichere Formen – nenn sie Unterlassungen oder sogar Lügen – geschmuggelt hatte, um etwas zu verdecken, was einem Verrat gleichkam.
Hier blinzelte Gottlieb, und in der Ruhe dieses sonnigen Nachmittags hörte ich, wie seine vielfach vergrößerten Wimpern die Brillengläser streiften. Ansonsten schienen sich der Raum, das Haus, der Tag selbst aller Geräusche außer meiner Stimme entleert zu haben.
Ich vermute, es war noch etwas anderes, das den Nährboden für mein Unbehagen schuf, fuhr ich fort, etwas aus Lottes Leben, bevor ich sie kannte. Da es ein Teil ihrer Vergangenheit war, hatte ich das Gefühl, ich dürfe sie nicht danach fragen, obwohl ich manchmal frustriert war von ihrer Verschlossenheit und ihr den unausgesprochenen Anspruch auf Verschwiegenheit in dieser Sache übelnahm, die, soviel ich wusste, nichts mit ihrem Verlust zu tun hatte. Natürlich wusste ich, dass sie vor mir andere Liebhaber gehabt hatte. Schließlich war sie, als ich sie kennenlernte, achtundzwanzig Jahre alt und viele Jahre vollkommen allein auf der Welt gewesen, ohne jede Familie. Sie war in vieler Hinsicht eine sperrige Frau, keine von der Sorte, mit der Männer ihres Alters leicht angebandelt hätten, aber wenn meine eigenen Gefühle irgendwie als Beispiel dienen können, muss ich annehmen, dass dies die Männer nur umso mehr anzog. Ich weiß nicht, wie viele Liebhaber sie hatte, aber es dürften genug gewesen sein. Ich vermute, dass sie nicht nur darüber schwieg, um ihre Vergangenheit unter Kontrolle zu halten, sondern auch, weil sie keine Eifersucht bei mir erregen wollte.
Und doch, eifersüchtig war ich trotzdem. Vage eifersüchtig auf sie alle – auf die Art, wie andere Männer sie berührt hatten, auf das, was Lotte ihnen von sich erzählt haben mochte, und auf ihr Lachen über etwas, was andere gesagt hatten –, aber quälend eifersüchtig auf einen ganz Bestimmten. Ich wusste nichts von ihm, außer dass er der Wichtigste gewesen sein musste, der Wichtigste für sie, weil sie nur ihm gestattet hatte, eine Spur zu hinterlassen. Du musst wissen, dass es in Lottes Leben, einem auf den kleinstmöglichen Raum reduzierten Leben, so gut wie keine Spur ihrer Vergangenheit gab. Keine Fotos, keine Andenken, keine Erbstücke. Nicht einmal Briefe, jedenfalls keine, die ich je gesehen hätte. Die paar Sachen, mit denen sie sich umgab, waren ausschließlich praktisch und hatten für sie keinen emotionalen Wert. Dafür trug sie Sorge; es war eine der Regeln, nach denen sie damals lebte. Die einzige Ausnahme war ihr Schreibtisch.
Von einem Tisch kann man allerdings kaum sprechen. Das Wort beschwört einen heimeligen, anspruchslosen Arbeits- oder Haushaltsgegenstand herauf, ein selbstloses, praktisches
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