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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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geklammert hatte und den sie nicht aufgeben wollte, den sie mit sich herumgeschleift hatte, seit ich sie kannte. Erst später habe ich begriffen, dass der junge Mann, Daniel Varsky, im gleichen Alter war wie der Sohn, den sie weggegeben hatte. Wie muss er sie an ihr eigenes Kind erinnert haben und daran, wie es gewesen wäre mit ihm. Wie bewegend müssen diese Tage mit Daniel für sie gewesen sein, auf eine Art, die er selbst gar nicht verstanden haben konnte. Auch er wird sich gewundert haben, was sie an ihm fand und warum sie ihm so viel von sich gab. All die Jahre hatte sie sich dem monströsen Möbelstück unterworfen, das ihr Liebhaber ihr geschenkt, mit dem er sie an sich gebunden hatte – an sich und später an das dunkle Geheimnis ihres Kindes, das sie zur Adoption freigab. All die Jahre hatte sie nicht nur den Tisch, sondern auch ihre Schuld gehegt. Wir richtig muss es ihr in der geheimnisvollen Poesie geistiger Assoziationen erschienen sein, ihn schließlich diesem Jungen, der sie an ihren eigenen Sohn erinnerte, zu schenken.
    Ich schaute aus dem Fenster, müde, nachdem ich so viel gesagt hatte. Gottlieb setzte sich auf seinem Stuhl zurecht. Sie sind aus anderem Holz als wir, sagte er ruhig, womit er offenbar die Frauen oder unsere Frauen meinte, und ich nickte, obwohl ich am liebsten gesagt hätte, Lotte sei aus etwas ganz anderem gewesen. Gib mir ein paar Wochen Zeit, sagte er. Ich werde sehen, was ich finden kann.
     
    In diesem Herbst kam der Frost spät. Eine Woche nachdem ich die Frühlingszwiebeln in die Erde gebracht hatte, packte ich meine Tasche, schloss das Haus ab und nahm einen Zug nach Liverpool. Gottlieb hatte weniger als einen Monat gebraucht, um dem Namen des Paares, das Lottes Kind adoptiert hatte, auf die Spur zu kommen und eine Adresse zu finden. Eines Abends war er hereingeschneit und hatte mir ein Stück Papier mit den Informationen überreicht. Ich fragte ihn nicht, wie er dazu gekommen war. Er hatte seine Kanäle – seine Arbeit brachte ihn in Kontakt mit Menschen aller Art, und da er jemand war, der gern etwas für andere tat, gab es viele, die ihm einen Gefallen schuldig waren, und er war sich nicht zu schade, eines Tages wiederzukommen und ihn einzufordern. Vielleicht bin auch ich einer dieser Menschen. Bist du sicher, dass du es machen willst, Arthur?, fragte er, indem er sich seine silbergraue Mähne aus der Stirn strich. Wir standen im Eingang, unter der Sammlung ungetragener Strohhüte, die an der Wand hingen wie Kostüme aus einem anderen, theatralischeren Leben. Draußen lief der Motor seines Autos noch. Ja, sagte ich.
    Aber einige Wochen machte ich gar nichts. Ich war halbwegs überzeugt gewesen, alle Spuren des Kindes seien verschwunden, und nicht richtig darauf vorbereitet, die Namen seiner Eltern, derjenigen, mit denen er durchs Leben gegangen war, zu erfahren. Elsie und John Fiske. John, der vielleicht Jack genannt wurde, dachte ich, als ich ein paar Tage später, am Boden kniend, die Funkien teilte, und ich stellte mir einen stämmigen Kerl vor, einen chronischen Huster, der, im Pub über die Bar gebeugt, seine Zigarette ausdrückte. Während ich mit den Fingern die verschlungenen Wurzeln auseinanderfieselte, stellte ich mir auch Elsie vor, wie sie Essensreste von einem Teller in den Abfalleimer kratzte, noch im Morgenrock und mit Lockenwicklern in den Haaren, beleuchtet vom düsteren Licht einer Liverpooler Dämmerung. Nur das Kind bekam ich nicht zu fassen, einen Jungen mit Lottes Augen oder Mienenspiel. Ihr eigenes Kind!, dachte ich, indem ich meine Tasche auf die Gepäckablage über meinem Platz hob, aber als der Zug aus der Euston Station auslief, stellte ich mir in den Fenstern eines vorbeifahrenden Zuges die flimmernden Gesichter derer vor, von denen sich Lotte in ihrem Leben verabschiedet hatte – ihre Mutter und ihr Vater, die Brüder und Schwestern, Schulfreunde und -freundinnen, sechsundachtzig heimatlose Kinder mit unbekanntem Ziel. Konnte man ihr wirklich einen Vorwurf daraus machen, wenn sie in ihren eigenen Tiefen auf eine Ablehnung gestoßen war – die Weigerung, einem Kind das Gehen beizubringen, nur um zu erleben, wie es von ihr wegging? Auf eine Weise, die ich bisher nie bedacht hatte, ergab ihr Gedächtnisverlust, das Schwinden ihres Geistes, einen grotesken Sinn: Es bot ihr eine Möglichkeit, mich mühelos zu verlassen, jede Stunde jedes Tages ein unmessbares bisschen weiter zu entschlüpfen, nur um einen letzten, zerschmetternden Abschied zu

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