Das große Haus (German Edition)
kalte Hände. Als sei sie dabei, mir zu erklären, wie man mit einem zickigen Auto umgeht, statt ihr eigenes Baby wegzugeben. Und doch begann ich es später, als er ein paar Wochen bei mir war, anders zu sehen. Mir wurde klar, dass diese paar Dinge die kostbaren Entdeckungen einer Mutter waren, die das Geheimnis ihres Kindes beobachtet und versucht hatte, es zu verstehen.
Wir saßen nebeneinander auf der harten Bank, sagte Mrs. Fiske. Sie tätschelte das Bündel in ihren Armen noch einmal, dann gab sie es mir. Ich fühlte die Wärme seines Körpers durch die Decke. Es regte sich ein bisschen, schlief aber weiter. Ich dachte, sie würde noch etwas sagen, aber nein. Auf dem Boden stand eine Tasche, die sie mit dem Fuß zu mir hinschob. Dann schaute sie aus dem Fenster und schien auf dem Bahnsteig etwas zu bemerken, was sie irritierte, jedenfalls stand sie abrupt auf. Ich blieb sitzen, weil meine Beine so schwach waren, dass ich Angst hatte, das Baby fallen zu lassen. Sie entfernte sich, einfach so. Erst an der Tür blieb sie stehen und schaute zurück. Ich zog das Baby fest an meine Brust. Ich fühlte, wie es zu schnüffeln begann, wiegte es ein bisschen, und es entspannte sich und gluckste sogar etwas. Sehen Sie!, wollte ich ihr zurufen. Aber als ich aufblickte, war sie verschwunden.
Ich saß da und rührte mich nicht vom Fleck. Ich wiegte das Baby und sang ihm leise etwas vor. Ich beugte meinen Kopf über seinen, damit das Licht nicht in seine Augen fiel, und als ich meine Lippen auf seine Stirn drückte, schien es eine Wärme auszuströmen, ich roch die süßen Düfte seiner Haut und auch etwas Stinkendes von hinter den Ohren. Es fuhr mit dem Gesicht zu mir herum und öffnete den Mund. Seine Augen wurden weit, und die Ärmchen sprangen auf, als wollte es sich festhalten, um nicht hinunterzufallen. Es fing an zu schreien. Mir stieg eine plötzliche Hitze in den Kopf, und ich kam ins Schwitzen. Ich rüttelte es, aber es schrie noch lauter. Ich blickte auf, und da spähte jemand durchs Fenster, ein junger Mann in einem seltsamen, fast erbärmlichen Mantel mit einem abgeschabten Pelzkragen. Er hatte sehr schwarze, leuchtende Augen. Ein Schauder lief mir über den Rücken, als er uns so anstarrte, das Baby und mich. Gierig, mit dem Hunger eines Wolfs schaute er uns an, und ich wusste, das konnte nur der Vater sein. Der Moment schien sich zu dehnen, bis zum Äußersten in die Länge zu ziehen, während irgendeine unterdrückte Sehnsucht oder schreckliche Wehmut ihn innerlich aufwühlte. Dann kam eine Bahn, und er stieg allein ein – das war das Letzte, was ich von ihm sah. Als Sie gestern Abend anriefen, Mr. Bender, war ich mir sicher, Sie wären er. Erst als Sie vor der Tür standen, wurde mir klar, dass das nicht sein konnte.
An diesem Punkt stand ich auf und fragte Mrs. Fiske, wo die Toilette sei. Der schwarze Spaniel fiel zu Boden und schlug erbärmlich hoppelnd auf. Ein Schwindel hatte mich erfasst, ich fühlte mich der Ohnmacht nahe. Ich schloss die Tür und sank auf den Toilettensitz. Im Bad stand ein Holzgestell, an dem zwei oder drei Strumpfhosen zum Trocknen hingen, die schrumpeligen braunen Füße tropften noch, und über der Wanne war ein Fenster, ganz von Feuchtigkeit beschlagen. Ich stellte mir vor, es als Fluchtweg zu benutzen und die Straße hinunter davonzurennen. Ich steckte meinen Kopf zwischen die Knie, um die Schwindelgefühle zu beruhigen. Achtundvierzig Jahre lang hatte ich mein Leben mit einer Frau geteilt, die fähig gewesen war, ihr Kind ungerührt an eine Fremde abzugeben. Mit einer Frau, die ihr eigenes Baby – ihr eigenes Baby – in der Zeitung annonciert hatte, wie man ein Möbelstück zum Verkauf annonciert. Ich wartete darauf, dass dieses neue Wissen sein krasses Licht warf, wartete, dass das Tor aufschwang und ich verstand, wartete, in eine lebenslang gehortete Wahrheit einzutreten. Aber es tat sich nichts, keinerlei Erleuchtung.
Ist alles in Ordnung?, fragte Mrs. Fiske mit einer von weit her kommenden Stimme. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, nur dass sie mich ein paar Minuten später die Treppe hinauf in ein kleines Zimmer mit einem Einzelbett führte, auf das ich mich ohne Protest legte. Sie brachte mir ein Glas Wasser, und als sie sich herunterbeugte, um es auf das Nachttischchen zu stellen, sah ihr Hals so aus wie der meiner eigenen Mutter. Darf ich etwas fragen?, sagte ich. Sie sagte nichts. Wie ist er gestorben? Sie seufzte und presste die Hände
Weitere Kostenlose Bücher