Das große Haus (German Edition)
Suppenschale abzuräumen, stellte sie in die Spüle und schaute aus dem Fenster in den kleinen Garten hinter dem Haus. Sie schien fast in Trance zu sein, und aus Angst, sie herauszureißen, sagte ich nichts. Sie füllte den Wasserkessel, stellte ihn auf den Herd und kehrte an den Tisch zurück. Da sah ich, wie müde sie wirkte. Sie schaute mir in die Augen. Warum sind Sie hergekommen, um was herauszufinden, Mr. Bender?
In meiner Betroffenheit antwortete ich nicht sofort.
Wenn Sie nämlich gekommen sind, um Ihre Frau irgendwie besser zu verstehen, kann ich Ihnen nicht helfen, sagte sie.
Es folgte ein langes Schweigen. Dann sagte Mrs. Fiske: Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört. Sie hat nie geschrieben. Manchmal musste ich an sie denken. Ich wachte über das schlafende Baby und fragte mich, wie sie das hatte tun können. Erst später habe ich verstanden, dass das Muttersein eine Illusion ist. Egal, wie sehr man aufpasst, am Ende kann eine Mutter ihr Kind nicht beschützen – weder vor Schmerz oder Schrecken oder dem Albtraum von Gewalt noch vor versiegelten Zügen, die mit rasender Geschwindigkeit in die verkehrte Richtung fahren, vor der Schlechtigkeit anderer Menschen, vor Falltüren, Abgründen, Feuern, Autos im Regen, vor dem Zufall eben.
Mit der Zeit habe ich immer seltener an sie gedacht. Aber als er starb, kehrte sie in meine Gedanken zurück. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, als es passierte. Ich dachte, sie sei die Einzige auf der Welt, die begreifen könnte, wie tief meine Trauer ging. Aber dann wurde mir klar, dass ich falsch gedacht hatte, sagte Mrs. Fiske. Sie hätte es nicht begreifen können. Sie wusste nichts von meinem Sohn.
Irgendwie schaffte ich es zum Bahnhof zurück. Es war schwierig, klar zu denken. Ich nahm den Zug nach London. An jeder Durchfahrtsstation sah ich Lotte auf dem Bahnsteig. Was sie getan hatte, mit welcher Kaltblütigkeit, erfüllte mich mit Entsetzen, und als Schlimmstes kam hinzu, dass ich in der langen Zeit unseres Zusammenlebens nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte, wozu sie fähig war. Alles, was sie je zu mir gesagt hatte, musste ich jetzt in diesem neuen Licht bedenken.
Als ich gegen Abend nach Highgate zurückkehrte, war die Fensterscheibe auf der Stirnseite des Hauses eingeschlagen. Von dem großen Loch ging strahlenförmig ein wunderschönes, zartes Netz feiner Sprünge aus. Es war ein unvergesslicher Anblick, der mir Ehrfurcht einflößte. Drinnen, zwischen den Scherben auf dem Fußboden, fand ich einen faustdicken Stein. Kalte Luft hatte sich im Wohnzimmer gesammelt. Es war die besondere Stille, die mich zutiefst bewegte, eine Stille, wie sie nur im Gefolge von Gewalt eintritt. Schließlich sah ich eine Spinne sehr langsam über die Wand krabbeln, und der Bann war gebrochen. Ich holte mir den Besen. Als ich fertig war mit dem Aufkehren, klebte ich ein Stück Plastik über das Loch. Den Stein hob ich auf und legte ihn auf den Wohnzimmertisch. Am nächsten Tag, als der Glaser kam, sagte er etwas über diese kleinen Rowdys, Strolche, schon die dritte Fensterscheibe, die sie innerhalb einer Woche eingeschlagen hätten, und plötzlich merkte ich, dass es mir einen Stich versetzte, dass ich gewünscht hätte, der Stein wäre für mich bestimmt gewesen, das Werk von jemandem, der einen Stein in mein Fenster und nur meines, nicht in beliebige Fenster werfen wollte. Und als der kleine Schmerz vorbei war, ging mir der Glaser mit seiner fröhlich lauten Stimme auf die Nerven. Erst nachdem er das Haus verlassen hatte, verstand ich, wie einsam ich war. Die Zimmer des Hauses sogen mich ein und schienen mich zu schelten, dass ich sie allein gelassen hatte. Siehst du?, schienen sie zu sagen. Siehst du, was passiert? Aber ich sah es nicht. Ich hatte das Gefühl, immer weniger zu verstehen. Es wurde schwierig, mich daran zu erinnern – oder nicht daran zu erinnern, sondern das zu glauben , woran ich mich von unseren Gewohnheiten in diesen Räumen erinnerte, wie Lotte und ich unsere Zeit darin verbracht, wo und wie wir immer gesessen hatten. Ich setzte mich in meinen alten Sessel und versuchte, Lotte heraufzubeschwören, wie sie mir gegenüber dagesessen hatte. Aber alles geriet in den Strudel der Absurdität. Das Plastik wellte sich über dem klaffenden Loch, und das spektakulär gesprungene Glas hing in der Schwebe. Ein schwerer Schritt oder ein Windstoß, so schien es, und das ganze Ding fiele in tausend Stücke. Als der Glaser am nächsten Tag wiederkam,
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