Das große Haus (German Edition)
kam und meinen Mantel aufhängen wollte, schlug mir ein starker Geruch von Eau de Cologne entgegen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich ihn mit Daniels Jacke in Verbindung brachte und daraufhin erwartete, sie noch irgendwo aufgehängt zu finden, vergessen. Aber keine Spur. Mag sein, dass mir der Gedanke daran wieder verflogen wäre, hätte ich nicht, als ich mich nach dem Essen zum Lesen auf dem Sofa niederließ, ein Metallfeuerzeug entdeckt, das neben einem Kissen lag. Ich wog es in meiner Hand, während ich überlegte, wie ich die Frage an Lotte formulieren sollte. Aber was genau war die Frage? Hat dieser Junge dich wieder besucht? Und wennschon! Durfte sie nicht Besuch haben, so viel und von wem sie wollte? Sie hatte von Anfang an klargestellt, dass ich keine Ansprüche auf ihre Freiheit hatte, und ich wollte auch keine erheben. Es gab vieles, was sie mir nicht erzählte, und ich fragte nicht danach. Einmal hat meine Schwester in einem bitteren Streit über die Angelegenheiten unserer verstorbenen Mutter zu mir gesagt, ich sei sicher nicht zufällig mit einem Geheimnis verheiratet, das geile mich auf. Sie hatte zwar nicht recht damit – sie hat nie das Geringste von Lotte verstanden –, aber vielleicht auch nicht ganz unrecht. Manchmal kam es mir wirklich so vor, als wäre meine Frau weiß der Teufel was, ein leibhaftiges Bermudadreieck: Schick etwas hinein, und du wirst nie wieder davon hören. Egal, ich wollte es wissen – war der Junge wieder da gewesen, und was war mit ihm, dass sie ihn sofort hereingebeten hatte? Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass sie kein geselliger Mensch war. Und trotzdem, kaum hatte ein Fremder an der Tür sich vorgestellt, kochte sie ihm schon in der Küche einen Tee.
Sehen Sie, wenn wir Muster suchen, tun wir das nur, um herauszufinden, wo es Brüche gibt. Und genau an dieser Bruchstelle schlagen wir unsere Zelte auf und warten.
Lotte saß lesend auf dem Sessel mir gegenüber. Was ich fragen wollte, sagte ich, woher kommt Daniel eigentlich? Sie blickte von ihrem Buch auf. Immer derselbe unsortierte Gesichtsausdruck, wenn ich sie beim Lesen störte. Wer? Daniel, sagte ich. Der Junge, der abends hier geklingelt hat. Ich habe einen Akzent gehört, konnte ihn aber nicht richtig unterbringen. Lotte legte eine Pause ein. Daniel, wiederholte sie, als wollte sie die Haltbarkeit des Namens für eine ihrer Geschichten prüfen. Ja, woher kommt er?, wiederholte ich. Aus Chile, sagte sie. Na so was, aus Chile!, sagte ich. Das ist ja wirklich bemerkenswert. Dass deine Bücher schon so eine Fernwirkung haben! Soweit ich weiß, hat er sich eins bei Foyles gekauft, sagte Lotte. Wir haben nicht darüber gesprochen. Er hat viel gelesen und jemanden gesucht, mit dem er über Bücher reden kann, das ist alles. Du bist mal wieder bescheiden, da bin ich mir ganz sicher, sagte ich. Er schien ja ganz fassungslos zu sein, sich in deiner Gegenwart zu befinden. Wahrscheinlich kann er ganze Passagen aus deinen Texten zitieren. Ein gequälter Ausdruck durchfuhr Lottes Gesicht, aber sie blieb still. Er ist allein hier, das ist alles, sagte sie.
Am nächsten Tag war das Feuerzeug von dem Kaffeetisch, wo ich es liegengelassen hatte, verschwunden. Aber im Lauf der nächsten Wochen fand ich weitere Zeichen des Jungen – Zigarettenstummel im Mülleimer, ein langes schwarzes Haar auf dem weißen Sofaschoner, und ein- oder zweimal, als ich Lotte aus Oxford anrief, glaubte ich ihrer Stimme das Bewusstsein von der Anwesenheit einer anderen Person zu entnehmen. Dann, an einem Donnerstagabend, als ich etwas auf meinem Schreibtisch ablegen wollte, fand ich einen ledernen Taschenkalender, ein kleines schwarzes Buch, ganz verknautscht und abgegriffen. Auf dem Innendeckel stand sein Name: Daniel Varsky. Der Kalender war nach Wochentagen gegliedert, Montag, Dienstag und Mittwoch links, Donnerstag, Freitag und Samstag/Sonntag rechts, und jedes Kästchen war bis zum äußersten Rand mit einer winzigen Handschrift gefüllt.
Erst als ich Daniel Varskys Handschrift sah, packte mich die gärende Eifersucht mit voller Wucht. Ich erinnerte mich, wie er hinter Lotte durch den Flur gegangen war, und jetzt kam es mir so vor, als wäre neben dem kleinen Lächeln, das er seinem Spiegelbild zugeworfen hatte, auch daran etwas Angeberisches gewesen. Allein hier!, dachte ich. Allein mit Lederjacke, silbernem Feuerzeug, einem selbstverliebten Grinsen und etwas Drängendem in seiner Jeans. Es ist mir unangenehm, das jetzt
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