Das große Haus (German Edition)
einzelnen der ranghohen US-Offiziere in Verbindung, unter deren Aufsicht die Verteilung der Schätze erfolgt war, mit jedem einzelnen der Arbeiter, die den Abtransport von Gegenständen aus der Kaserne vorbereitet hatten. Wer weiß, was er ihnen für die Informationen, die er haben wollte, geboten hat.
Er machte es sich zur Aufgabe, jeden seriösen Händler, der mit Antiquitäten aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert auf dem europäischen Markt vertreten war, persönlich kennenzulernen. Er sichtete die Kataloge sämtlicher Auktionen, freundete sich mit jedem Möbelrestaurator an, wusste Bescheid, was durch welche Hände in London, Paris oder Amsterdam ging. Der Hoffmann-Bücherschrank seines Vaters tauchte im Herbst 1975 in einem Laden in der Wiener Herrengasse auf. Weisz flog sofort aus Israel ein und identifizierte den Bücherschrank an einem langen Kratzer auf der rechten Seite (andere, ohne dieses Kennzeichen, hatte er verschmäht). Dem Lesepult war er bei einer Bankiersfamilie in Antwerpen auf die Spur gekommen, die er dann weiter nach Paris verfolgen musste, bis zu einem Laden in der Rue Jacob, wo das Pult unter den wachsamen Augen einer großen weißen Siamkatze einige Zeit das Schaufenster geziert hatte. Leah erinnerte sich an die Ankunft einiger dieser lange verschollenen Stücke in dem Haus in der Ha’Oren-Straße, düstere, von Spannung umwitterte Ereignisse, die ihr solche Angst einflößten, dass sie sich als kleines Kind manchmal in der Küche versteckt hatte, wenn die Kisten aufgebrochen wurden, voller Grauen, was da herauskäme, könnten womöglich die geschwärzten Gesichter ihrer toten Großeltern sein.
Über das Gemälde schrieb Leah Folgendes: Es war dermaßen dunkel, dass man einen ganz bestimmten Blickwinkel einnehmen musste, um überhaupt zu erkennen, was darauf abgebildet war – ein Mann auf einem Pferd. Ich war jahrelang überzeugt, es sei Alexander Zaid. Mein Vater mochte das Gemälde nie. Manchmal denke ich, wenn er sich erlaubt hätte, so zu leben, wie er wollte, hätte er sich ein leeres Zimmer mit nur einem Bett und einem Stuhl gesucht. Jeder andere hätte das Gemälde demselben Schicksal überlassen wie den Rest all dessen, was verloren war, aber nicht mein Vater. Er schleppte ein Pflichtbewusstsein mit sich herum, das sein ganzes Leben bestimmte und später unseres. Er verbrachte Jahre damit, das Gemälde aufzuspüren, und zahlte dem Besitzer eine beträchtliche Summe, um ihm den Rückkauf abzutrotzen. In dem Brief, den er hinterlassen hat, schreibt er, das Gemälde habe im Arbeitszimmer seines eigenen Vaters gehangen. Absurd! Ich hätte fast einen Erstickungs- oder Schreianfall bekommen. Vielleicht habe ich auch laut gelacht. Als wäre mir nicht klar gewesen, dass sein ganzes Arbeitszimmer in Jerusalem genauso ausgelegt war wie das meines Großvaters in Budapest, auf den Millimeter genau! Bis hin zum Samt der schweren Vorhänge, den Stiften auf der Elfenbeinablage! Vierzig Jahre lang hat mein Vater daran gearbeitet, diesen verlorenen Raum wieder zu versammeln, genau so, wie er bis zu jenem schicksalhaften Tag 1944 ausgesehen hatte. Als könnte er mit diesem Puzzlewerk die Zeit außer Kraft setzen und den Kummer tilgen. Das Einzige, was dem Raum in der Ha’Oren-Straße fehlte, war der Schreibtisch meines Großvaters – an dem Platz, wo er hätte stehen müssen, klaffte eine große Lücke. Ohne ihn blieb das Arbeitszimmer unvollständig, ein armseliges Replikat. Und nur ich kannte das Geheimnis, wo der Schreibtisch sich befand. Dass ich mich weigerte, es meinem Vater zu verraten, hat unsere Familie damals auseinandergerissen, in dem Jahr, als du bei uns warst, ein paar Monate bevor er sich umbrachte. Trotzdem wollte er sich nicht damit abfinden! Ich dachte, ich hätte ihn umgebracht mit dem, was ich getan hatte. Aber es war genau das Gegenteil. Als ich seinen Brief las, schrieb Leah , habe ich begriffen: Mein Vater hatte gewonnen. Am Ende hatte er einen Weg gefunden, es uns unmöglich zu machen, ihm jemals zu entkommen. Nachdem er gestorben war, sind wir in das Haus in Jerusalem zurückgekehrt. Und wir haben aufgehört zu leben. Vielleicht könnte man auch sagen, wir haben wie Einsiedler gelebt, nur zu zweit statt allein.
Der Brief ging mit allerhand Ausführungen über bestimmte Zimmer des Hauses weiter. Was kaputtgeht, benutzen wir nicht mehr. Wir bezahlen jemanden, der einkaufen geht und uns bringt, was wir brauchen. Eine Frau, die das Geld dringend nötig und in
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