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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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bin’s, sagte ich. Er schläft oben. Er schläft immer erst gegen zwei oder drei Uhr morgens ein, ich musste warten mit dem Anruf. Wir verfielen beide in ein Schweigen, während dessen sie, ohne ein Wort zu sagen, in mich eindrang und mir meine Antwort entnahm. Schließlich atmete sie aus. Wenn du kommst, spar dir das Klingeln. Er antwortet nicht. Ich hinterlasse dir den Schlüssel, befestige ihn mit Klebeband auf der Rückseite des Summers. Ich nickte, zu erstickt, um einen Laut herauszubringen. Izzy, es tut mir leid, dass wir … dass er nie … Sie brach ab. Es war so schrecklich, sagte sie. Fürchterliche Schuldgefühle. Jahrelang haben wir uns selbst bestraft. Und Joavs Selbstbestrafung bestand darin, dass er dich aufgegeben hat. Leah … sagte ich. Ich muss weg, flüsterte sie. Pass auf ihn auf.
     
    Sie hatten überall gelebt. Ihre Mutter war gestorben, als Joav acht und Leah sieben Jahre alt waren, und danach, ohne den Anker seiner Frau, von Kummer und Leid getrieben, war ihr Vater mit den Kindern von Stadt zu Stadt gewandert und manchmal Monate, manchmal ein paar Jahre geblieben. Wo immer er hinkam, stürzte er sich in Arbeit. Joav zufolge hat er sich seinen legendären Ruf auf dem Gebiet der Antiquitäten in diesen Jahren erworben. Er brauchte keinen Laden, seine Kunden wussten immer, wo sie ihn finden konnten. Und die Möbel, die sie so heiß begehrten, die Tische, Sekretäre oder Stühle, nach denen sie sich sehnten, an oder auf denen sie vor langer Zeit gesessen und nie wieder zu sitzen geglaubt hatten, alles, was ihr verlorengegangenes oder für die Zukunft erträumtes Leben möblierte, gelangte über Quellen, Kanäle und Zufälle, die das Geheimnis seines Handels blieben, in den Besitz von George Weisz. Als Zwölfjähriger hatte Joav einen wiederkehrenden Traum, in dem er mit seinem Vater und seiner Schwester an einem bewaldeten Ufer lebte, wo die Flut jede Nacht Möbel an den Strand spülte, mit Seetang bedeckte Himmelbetten oder Sofas. Sie zogen die angeschwemmten Gegenstände unter die Baumdächer und stellten sie in Zimmern zusammen, deren Grundrisse ihr Vater, eines nach dem anderen, mit der Fußspitze in den Waldboden ritzte und die ohne Dächer oder Wände allmählich den Wald eroberten. Die Träume waren traurig und gruselig. Aber einmal träumte Joav, Leah hätte eine Lampe mit eingeschraubter Glühbirne gefunden. Sie rannten damit zu ihrem Vater, der sie auf ein Mahagonitischchen stellte und in Joavs Mund einsteckte. Am Boden hockend, den Mund krampfhaft geschlossen, staunte Joav, wie es Licht wurde unter dem Blätterdach. Schatten rieselten durchs Geäst. Jahre später, auf einer Rucksackwanderung durch Norwegen, entdeckte Joav einen Küstenabschnitt, in dem er die Stelle aus seinem Traum wiedererkannte. Er machte ein Foto, und bei seiner Rückkehr nach Oslo ließ er den Film entwickeln. Dann schickte er die Aufnahme ohne Kommentar an seine Schwester, denn zwischen ihnen bedurfte es keiner Erklärung.
    Ihr Vater nahm sie mit nach Paris, Zürich, Wien, Madrid, München, London, New York und Amsterdam. Wenn sie in einer neuen Wohnung ankamen, war diese schon voller Möbel. Die Stücke wurden verkauft, bis so gut wie nichts mehr in den Räumen stand, und dann zogen sie weiter in eine andere Stadt. Oder es war das Gegenteil: Bei ihrer Ankunft stand die neue Wohnung leer und roch nach frischer Farbe. Im Lauf der Monate füllte sie sich allmählich mit einem Rollschreibtisch, einem Drei-Satz-Tischchen, einer Liege und anderen Dingen mehr, die durchs Fenster oder durch die Tür kamen, meistens auf den Rücken schnaufender Männer, aber manchmal verkörperten sie sich wie von allein, nisteten sich, während Joav und Leah in der Schule waren oder im Park spielten, unauffällig in irgendeiner Ecke ein, als hätten sie ihr ganzes unbelebtes Leben dort verbracht. Joav hat mir als eine seiner frühesten Erinnerungen aus diesen Übergangsjahren erzählt, wie er es einmal klingeln hörte, an die Tür ging und im Treppenhaus einen Louis-seize-Stuhl fand. Der blaue Damast war zerfetzt, und die Rosshaarfüllung quoll heraus. Wenn die Wohnung zu voll oder George Weisz von der Erinnerung an seine Frau eingeholt wurde, oder aus Gründen, die Joav und Leah verstanden, aber nicht erklären konnten, zogen sie wieder an einen neuen Ort. Dort wachten sie dann mitten in der Nacht auf, weil sie aufs Klo mussten, und liefen in dem Glauben, noch in der vorherigen Wohnung zu sein, gegen die Wände. Entweder Joav oder

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