Das große Haus (German Edition)
aus der Bibliothek auf die Euston Road kam. Ich hatte immer noch kein neues Thema für meine Dissertation gefunden. Ich las mich planlos durch die Bücher, ohne viel aufzunehmen, immer noch mit der Angst im Nacken, die Panik könnte wieder ausbrechen. Ich rief A. L. Plummer an, der sich immer weniger für mich zu interessieren schien, und erklärte ihm, welche Richtung ich einzuschlagen gedachte. Dann nur weiter so, sagte er, und ich sah ihn vor meinem inneren Auge auf einem seiner Bücherstapel hocken, den kahlen Kopf in den Talar gesteckt wie ein schlafender Geier. An manchen Tagen brach ich auf, um in die Bibliothek zu gehen, konnte mich an der U-Bahn-Station aber nicht überwinden, mit den anderen Stoßzeitfahrgästen den Aufzug zum Abstieg in die gähnenden Tiefen der Northern Line zu nehmen, und so setzte ich meinen Weg fort, indem ich mir in einem der kleinen Läden an der High Street etwas zum Frühstücken holte, eine Weile bei Waterstone’s oder in den schmalen Gängen des Bücherantiquariats am Flask Walk herumstöberte und mir die Zeit vertrieb, bis es Viertel nach elf war und ich die Fitzjohns Avenue hinunterging. Das Freud-Museum öffnete um zwölf, und oft war ich die einzige Besucherin. Sowohl die Führer als auch die Frau, die den Museumsladen betrieb, schienen sich zu freuen, wenn ich kam, und zogen sich aus den Räumen, die ich betrat, zurück, damit ich allein und in Ruhe dort verweilen konnte.
Nachmittags, wieder in Belsize Park, gingen Joav und ich, oft auch Leah ins Kino, wo wir manchmal zwei Filme hintereinander sahen oder zweimal in demselben sitzen blieben. Oder wir machten einen Spaziergang im Heath. Gelegentlich unternahmen wir etwas Größeres – fuhren zur National Gallery, nach Richmond Park oder schauten uns ein Stück im Almeida an. Aber die meiste Zeit verbrachten wir im Haus, das uns mit einer Kraft zurückzog, die ich nicht recht erklären kann, außer dass es unsere Welt darstellte und wir dort glücklich waren. Abends sahen wir entweder ausgeliehene Filme oder lasen, während Leah übte, und wenn es spät geworden war, machten wir oft eine Flasche Wein auf, und Joav las mir laut etwas von Bialik, Amichai, Kaniuk oder Alterman vor. Ich liebte es, ihn auf Hebräisch lesen zu hören, so lebendig, wie er in seiner Muttersprache zu Hause war. Vielleicht auch, weil ich in diesen Momenten von der Anstrengung befreit war, ihn verstehen zu wollen.
Ich zumindest war glücklich dort. Eines Morgens, als ich im Dunkeln in meine Kleider schlüpfte, streckte Joav seinen Arm unter der Decke hervor und zog mich wieder ins Bett. Du, sagte er. Ich legte mich neben ihn und streichelte sein Gesicht. Lass uns weglaufen, sagte er. Wohin?, fragte ich. Ich weiß nicht. Istanbul? Caracas? Und was machen wir dort? Joav schloss die Augen und dachte nach. Wir machen einen Saftstand auf. Einen was? Saft, sagte er. Wir verkaufen frischen Saft. Jede Sorte, was die Leute mögen. Papaya, Mango, Kokosnuss. Ich wusste, er machte Spaß, aber es lag ein flehender Blick in seinen Augen. Gibt es Kokosnüsse in Istanbul? Wir importieren sie, sagte er. Das wird ein großer Schlager. Die Leute werden Schlange stehen. Die ganze Stadt wird verrückt sein nach unserem Kokossaft, sagte ich. Ja, sagte er, und nachmittags, nachdem wir Unmengen Kokossaft verkauft haben, gehen wir ganz klebrig und glücklich nach Hause und lieben uns stundenlang, und dann machen wir uns fein, ziehen uns die schönsten Sachen an, du ein weißes Kleid, ich einen weißen Anzug, und gehen aus, strahlend vor Glanz, und fahren die ganze Nacht in einem Glasbodenboot den Bosporus auf und ab. Was sieht man auf dem Grund des Bosporus?, fragte ich. Selbstmörder, Dichter, von Stürmen verwehte Häuser, sagte er. Ich will keine Selbstmörder sehen, sagte ich. Na gut, sagte er, dann komm mit mir nach Brüssel. Warum Brüssel? Befehl von oben, sagte er. Was?, fragte ich. El Jefe, sagte er. Dein Vater? Ebender. Im Ernst?, fragte ich. Hast du mich je unernst erlebt?, sagte er, indem er mir den Slip abstreifte und unter der Decke verschwand.
Hin und wieder bat Weisz Joav oder Leah um einen kleinen Hilfsdienst bei seiner Arbeit – einem Kunden ein Möbelstück zu zeigen, irgendwohin zu fahren, um etwas, was er erworben hatte, abzuholen oder stellvertretend für ihn an einer Auktion teilzunehmen. Es war das erste Mal, dass Joav mich gefragt hatte, ob ich ihn begleiten wolle, und ich verstand es als Zeichen einer wichtigen Veränderung, die sich zwischen uns
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