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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Matratze, die auf dem Boden lag, eine Bücherwand und sonst kaum etwas.
    Die Küche befand sich im Parterre, ein paar Stufen abwärts auf der Gartenebene. Von dort aus konnte man den Hintergarten überblicken. Eine Tür am Ende eines kurzen Korridors führte hinaus. Um sie zu öffnen, musste man erst das komplizierte Werk der dort lebenden Spinnen zerstören, und sobald man sie schloss, fielen die Spinnen wieder darüber her. Bogna, die der orthodoxen Kirche angehörte, hielt das Leben zu heilig, um eine Spinne zu töten. Der Garten war wild und zugewuchert, voller Gestrüpp. Als ich ihn das erste Mal sah, war es November, und das ganze Zeug starb gerade ab. Es musste eine Zeit gegeben haben, da dieser Garten angelegt und gepflegt worden war, aber sich selbst überlassen, ohne Eingriffe in die beständige Hartnäckigkeit und Widerspenstigkeit des Pflanzenlebens, hatten nur die derben Gewächse überlebt und sich zu einem dicken Gewirr verschlungen. Der Weg war untergegangen. Die Rhododendren und Lorbeerbüsche wuchsen in einem hohen dunklen Wall dem Sonnenlicht entgegen. Im Gras stand ein Kartentisch. Auf der Oberfläche hatte sich an manchen Stellen Kerzenwachs gesammelt, und ein Aschenbecher aus dem Excelsior in Rom war mit schmutzigem Wasser gefüllt. Später, als es wärmer wurde, benutzten wir den Garten wieder, setzten uns mit einer Flasche Wein nach draußen. Der verwilderte Zustand passte zu Joav und Leah. Sie achteten das Eigenleben der Dinge und fanden Gefallen daran, es ihnen zu belassen; sie behandelten sie mit distanzierter Hochachtung. Im ganzen Haus waren aufgegebene, fallengelassene oder nach dem letzten Gebrauch liegengebliebene Objekte verstreut. Manchmal erhielten sich diese Tableaux wochenlang unangetastet, ehe Bogna sie irgendwann wegräumte, die Sachen wieder an ihren Platz stellte, sofern sie einen hatten, oder sie in die Abfalltonne warf. Bogna schien Joavs und Leahs Geschmack und Gewohnheiten zu verstehen, auch wenn sie ihren eigenen widersprachen. Sie demonstrierte Erschöpfung, ließ viele von ihren schweren Seufzern heraus und schleppte extra schwer an ihrem schlechten Bein, doch es war offensichtlich, dass die beiden ihr leidtaten. Aber schließlich musste Bogna ihre Arbeit machen. Es war Weisz, der sie bezahlte, dem sie Rede und Antwort stehen musste, wenn das Haus nicht sauber war und er am Ende persönlich in Erscheinung trat.
     
    Vor der Ankunft ihres Vaters nahm ich immer den Bus nach Oxford zurück. Trotz des Charmes und einer gewissen Leutseligkeit, die seine Arbeit ihm abverlangten, war Weisz ein verschlossener und zurückgezogener Mann, der sich mit einer Art Graben umgab. Einer von der Sorte, der eine Illusion von Vertraulichkeit erzeugt, indem er sein Gegenüber aus der Reserve lockt, den anderen nach seinem Leben fragt und sich an die Namen seiner Kinder erinnert, falls er welche hat, oder an das, was er am liebsten trinkt, es aber fertigbringt, wie man – wenn überhaupt – später merkt, nicht viel über sich selbst preiszugeben. Was seine Familie anbelangt, so konnte er die Anwesenheit Außenstehender nicht leiden. Ich weiß nicht mehr genau, wie mir das erklärt wurde – es wurde nie direkt gesagt –, aber ich wusste, es war verboten , in Gegenwart ihres Vaters dort zu sein. Nach seinen Besuchen wirkte Joav oft unnahbar und lustlos, während Leah strafend lange Stunden zum Klavierüben verschwand. Mit der Zeit, als meine Beziehung zu Joav ernsthafter wurde und ich in dem Haus in Belsize Park einen festeren Platz einnahm, fühlte ich mich zunehmend gekränkt und begann mich darüber zu ärgern, mich jedes Mal, wenn ihr Vater auftauchte, wie irgendein unpassender oder unansehnlicher Gast entfernen zu müssen. Mein schlechtes Gefühl verstärkte sich durch Joavs Weigerung, mir die Gründe zu erklären oder überhaupt viel darüber zu reden. Er deutete nur an, gewisse unausgesprochene Regeln und Erwartungen könnten eben nicht durchbrochen werden. Das einzig Explizite blieb, dass ich nicht anwesend sein durfte, wenn sein Vater da war. So vertiefte sich eine Unsicherheit, die ich unterschwellig in unserer Beziehung von Anfang an empfunden hatte: das Gefühl, ein großer Anteil von Joav würde mir immer vorenthalten bleiben, irgendein Leben, das er lebte, könnte niemals mit mir an seiner Seite stattfinden.
     
    Im Januar verbrachte ich fast jeden Tag in der British Library. Es war dunkel, wenn ich über den Haverstock Hill zur U-Bahn ging, und dunkel, wenn ich nachmittags

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