Das große Haus (German Edition)
Küche, auf dem die Köche einst Schultern und Lenden für die üppigen Bankette des Vicomte zerhackt hatten. Leclercq wirkte blass und erschöpft, fast leer, als hätte sich der innere Leclercq auf Wanderschaft begeben, hinaus in das feurige Abendrot des zwölften, dreizehnten oder vierzehnten Jahrhunderts. Entschuldigung, sagte er, Sie müssen furchtbar hungrig sein, und erhob sich, um in den Kühlschrank zu schauen, ein Gerät, das, von so viel Geschichte umwoben, wie ein Fremdkörper im Raum stand. Leclercq schien sich ein steifes Bein geholt zu haben – entweder das, oder ich hatte es vorher nicht bemerkt, was allerdings sehr zweifelhaft erschien, nachdem ich doch immerhin den ganzen Nachmittag hinter ihm hergelaufen war. Sicher war es eine Art von Steifheit, die durch Müdigkeit oder bestimmte Wetterlagen schlimmer wurde. Lassen Sie mich Ihnen helfen, sagte ich, und er schenkte mir einen dankbaren Blick. Isabel ist eine wunderbare Köchin, sagte Joav, sie zaubert aus nichts ein Festessen.
Leclercq ging hinaus und kehrte mit einer Flasche Wein zurück. Ich bereitete eine Quiche vor, und während sie im Backofen war, deckte ich den Tisch. Nachher merkte ich, dass ich Messer und Gabeln auf die falschen Seiten gelegt hatte, denn als es endlich ans Essen ging, erstarrte Leclercq wie vor einem Rätsel, das ihm unlösbar erschien, aber schließlich nahm er die ganze Anmut seines Adels zusammen, kreuzte vornehm die Handgelenke über seinem Teller und nahm das Besteck mit den richtigen Händen auf. Sobald er die erste Gabelvoll verspeist hatte, entfuhr ihm ein hörbarer Seufzer, die Beklemmung wich, und bald, gestärkt von Essen und Wein, schien er wieder etwas besser bei sich zu sein.
Nach dem Essen zeigte Leclercq uns unser Zimmer. Sofern von einer Übernachtung gesprochen worden war, hatte ich es verpasst. Und obwohl wir unsere Mahlzeit erst nach zehn Uhr beendet hatten, war das ungenannte Objekt, um dessentwillen wir gekommen waren, immer noch kein Thema. Wir hatten Übernachtungssachen eingepackt, weil wir uns auf dem Rückweg eine gemütliche Herberge suchen wollten. Joav ging zum Auto, unsere Taschen holen, und ließ mich mit Leclercq allein, der sich, etwas über die Haushälterin murmelnd, die ihren freien Tag habe, mit dem Bettzeug zu schaffen machte.
Joav und ich putzten uns Seite an Seite die Zähne in dem riesigen Bad, das an unser Zimmer grenzte, mit einer Badewanne, die für ein Pferd gereicht hätte. Im Bett begannen wir uns zu küssen. Iz, was mache ich nur mit dir?, flüsterte er mir ins Haar. Ich schmiegte meinen Köper an ihn. Aber statt uns zu lieben wie fast jede Nacht, fing Joav an, flüsternd zu reden, sein Gesicht an mein Ohr gepresst. Er erzählte mir mehr über seine Kindheit in Jerusalem, Dinge, die er mir nie erzählt hatte, als könnte er so weit von dem Haus in Belsize Park entfernt freier sprechen. Er erzählte mir von seiner Mutter, die Schauspielerin gewesen war, bis sie mit ihm schwanger wurde. Nach seiner Geburt hatte sie nicht mehr gearbeitet, aber manchmal, wenn er eines ihrer Fotos aus jener Zeit betrachtete, schien ihr Ausdruck ihm Dinge anzudeuten, die sie zu ihm gesagt haben könnte. Bevor sie starb, erklärte er, sei seine Mutter eine Art Puffer zwischen ihnen und ihrem Vater gewesen. Ihre Vermittlung habe seine Gebote gemildert, und sie habe immer eine Möglichkeit gefunden, ihnen die Dinge, die er von ihnen verlangte, zu erleichtern.
Stunden später wachte ich schweißgebadet auf. Ich ging an den Wasserhahn, um etwas zu trinken, merkte jedoch, dass ich hellwach war und wie meistens, wenn ich nachts aus dem Schlaf schreckte, wohl kaum wieder einschlafen würde. Da ich Joav nicht mit Licht zum Lesen stören wollte, tastete ich nach meinem Buch – etwas von Thomas Bernhard, ich kann mich nicht erinnern, was – und schlich aus dem Zimmer. Ich suchte mir den Weg, unter dem starren Blick von sechs oder sieben dort angebrachten Hirschköpfen, den Flur entlang zur Treppe. An der obersten Stufe hing ein kleines Gemälde von Breughel, auf das Leclercq besonders hingewiesen hatte. Es war eine jener Winterlandschaften aus grauem Eis, weißem Schnee und geschwärzten Bäumen, überflutet von einem Ansturm menschlichen Lebens, so auserlesen fein und klein, und doch ohne ein einziges Leben zu übersehen, ein jegliches genauestens ermessen und bedacht: winzige Szenen voller Heiterkeit und Verzweiflung, gleichermaßen unheilvoll und komisch aus so weiter Entfernung durch die
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