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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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Peitschen und legt sich bäuchlings auf sein Bett. Er sagt ein einziges Wort, das wir, ohne seine Sprache zu können, verstehen.
    Wir schlagen. Einmal der eine, einmal der andere. Der Rücken des Offiziers bekommt rote Striemen. Wir schlagen immer fester. Der Offizier stöhnt und zieht, ohne seine Lage zu verändern, Hose und Unterhose bis zu den Knöcheln herunter. Wir schlagen seinen weißen Hintern, seine Schenkel, seine Beine, seinen Rücken, seinen Hals, seine Schultern mit all unserer Kraft, und alles wird rot.
    Der Körper, die Haare, die Kleider des Offiziers, die Laken, der Teppich, unsere Hände, unsere Arme sind rot. Das Blut spritzt sogar in unsere Augen, vermischt sich mit unserm Schweiß, und wir schlagen weiter, bis der Mann zum Schluß einen unmenschlichen Schrei ausstößt und wir erschöpft am Fuß seines Bettes hinfallen.

Die fremde Sprache
    Der Offizier bringt uns ein Wörterbuch, in dem man seine Sprache lernen kann. Wir lernen die Wörter, - der Adjutant verbessert unsere Aussprache. Ein paar Wochen später können wir diese neue Sprache fließend sprechen. Wir machen immer größere Fortschritte. Der Adjutant muß nicht mehr übersetzen. Der Offizier ist sehr zufrieden mit uns. Er schenkt uns eine Harmonika. Er gibt uns auch einen Schlüssel zu seinem Zimmer, damit wir hineinkönnen, wenn wir wollen (wir gingen schon mit unserm Schlüssel hinein, aber heimlich). Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu verstecken und können dort machen, was uns gefällt: Kekse und Schokolade essen, Zigaretten rauchen.
    Wir gehen oft in dieses Zimmer, denn dort ist alles sauber, und wir haben hier mehr Ruhe als in der Küche. Dort machen wir meistens unsere Aufgaben.
    Der Offizier besitzt ein Grammophon und Schallplatten. Auf dem Bett liegend hören wir Musik. Einmal, um dem Offizier eine Freude zu machen, legen wir die Nationalhymne seines Landes auf. Aber er wird böse und zerbricht die Schallplatte mit einem Fausthieb.
    Manchmal schlafen wir auf dem Bett ein, das sehr breit ist. Eines Morgens findet uns der Adjutant darin; er ist unzufrieden:
    - Das sein unvorsichtig! Ihr nicht mehr so Dummheit machen. Was mal passieren, wenn Offizier abends heimkommen?
    - Was könnte denn passieren? Es ist genug Platz da auch für ihn.
Der Adjutant sagt:
    - Ihr sehr dumm. Einmal ihr zahlen für Dummheit. Wenn der Offizier euch weh tun, ich ihn töten. 
    - Er wird uns nicht weh tun. Sorgen Sie sich nicht um uns.
    Eines Nachts kommt der Offizier nach Hause und findet uns auf seinem Bett schlafend. Das Licht der Petroleumlampe weckt uns auf. Wir fragen: 
    - Sollen wir in die Küche gehen?
    Der Offizier streichelt unsern Kopf und sagt: 
    - Bleibt. Bleibt nur.
    Er zieht sich aus und legt sich zwischen uns. Er schlingt seine Arme um uns, er flüstert uns ins Ohr:
    - Schlaft. Ich liebe euch. Schlaft ruhig.
    Wir schlafen wieder ein. Später, gegen Morgen, wollen wir aufstehen, aber der Offizier hält uns zurück: 
    - Bewegt euch nicht. Schlaft weiter.
    - Wir müssen urinieren. Wir müssen raus.
- Geht nicht raus. Macht es hier.
Wir fragen:
- Wo?
    - Auf mir. Ja. Habt keine Angst. Pißt! Auf mein Gesicht.
    Wir tun es, dann gehen wir hinaus in den Garten, denn das Bett ist ganz naß. Die Sonne geht schon auf; wir beginnen mit unsern morgendlichen Arbeiten.

Der Freund des Offiziers
    Manchmal kommt der Offizier mit einem Freund nach Hause, einem anderen, jüngeren Offizier. Sie verbringen den Abend zusammen, und der Freund bleibt auch zum Schlafen. Wir haben sie mehrmals durch das Loch in der Decke beobachtet.
    Es ist ein Sommerabend. Der Adjutant kocht etwas auf dem Spirituskocher. Er legt ein Tischtuch auf den Tisch, und wir stellen Blumen darauf. Der Offizier und sein Freund sitzen am Tisch; sie trinken. Später essen sie. Der Adjutant ißt an der Tür, auf einem Hocker. Dann trinken sie wieder. Unterdessen kümmern wir uns um die Musik. Wir wechseln die Schallplatten, wir ziehen das Grammophon auf. Der Freund des Offiziers sagt:
    - Die Gören machen mich nervös. Schmeiß sie raus.
Der Offizier fragt:
- Eifersüchtig?
Der Freund antwortet:
    - Auf die? Grotesk! Zwei kleine Wilde. 
    - Sie sind schön, findest du nicht?
    - Vielleicht. Ich habe sie nicht angeschaut.
    - Ach, du hast sie nicht angeschaut. Dann schau sie an.
Der Freund wird rot:
    - Was willst du eigentlich? Sie machen mich nervös mit ihrem hinterhältigen Grinsen. Als würden sie uns zuhören, uns belauern.
    - Sie hören uns zu. Sie sprechen unsere Sprache perfekt.

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