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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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Sie verstehen alles. Der Freund wird blaß, er steht auf:
    - Das ist zuviel! Ich gehe!
Der Offizier sagt:
- Sei kein Idiot. Raus, Kinder.
Wir verlassen das Zimmer, wir steigen in die Dachkammer.
Wir schauen zu und lauschen.
Der Freund des Offiziers sagt:
- Du hast mich lächerlich gemacht vor diesen stupiden Kindern.
Der Offizier sagt:
- Es sind die intelligentesten Kinder, die mir je begegnet sind.
Der Freund sagt:
    - Das sagst du, um mich zu verletzen, um mir weh zutun. Du tust alles, um mich zu quälen, mich zu demütigen. Eines Tages werde ich dich töten!
    Der Offizier wirft seinen Revolver auf den Tisch: 
    - Ich verlange gar nichts anderes! Nimm ihn. Töte mich! Nur zu!
    Der Freund nimmt den Revolver und zielt auf den Offizier:
    - Ich tue es. Du wirst schon sehen, ich tue es. Das nächste Mal, wenn du mir von ihm erzählst, von dem andern, töte ich dich.
    Der Offizier schließt die Augen, lächelt:
    - Er war schön... jung... stark... anmutig... feinfühlig... gebildet... zärtlich... verträumt... mutig... frech... Ich liebte ihn. Er ist an der Ostfront gefallen. Er war neunzehn Jahre alt. Ich kann nicht ohne ihn leben. 
    Der Freund wirft den Revolver auf den Tisch und sagt: 
    - Schweinehund!
    Der Offizier macht die Augen auf, sieht seinen Freund an:
    - Was für ein Mangel an Courage! Was für ein Mangel an Charakter!
    Der Freund sagt:
    - Tu es doch selber, wenn du soviel Courage hast, wenn du soviel Kummer hast. Wenn du ohne ihn nicht leben kannst, folge ihm doch in den Tod. Du möchtest, daß ich dir noch dabei helfe? Ich bin nicht verrückt! Krepier doch! Krepier doch ganz allein!
    Der Offizier nimmt den Revolver und drückt ihn an seine Schläfe. Wir steigen von der Dachkammer herunter. Der Adjutant sitzt vor der offenen Zimmertür. Wir fragen ihn: 
    - Glauben Sie, er wird sich töten? 
    Der Adjutant lacht:
    - Ihr keine Angst haben. Sie das immer machen, wenn zuviel trinken. Ich vorher Revolver entladen.
Wir gehen in das Zimmer, wir sagen dem Offizier:
- Wir töten Sie, wenn Sie es wirklich wollen. Geben Sie uns Ihren Revolver.
Der Freund sagt:
- Kleine Mistkerle!
Der Offizier sagt lächelnd:
    - Danke. Ihr seid nett. Wir haben nur gespielt. Geht schlafen.
    Er steht auf, um die Tür hinter uns zu schließen, er sieht den Adjutanten.
- Sie sind immer noch da?
Der Adjutant sagt:
    - Ich habe nicht die Erlaubnis bekommen, wegzugehen.
    - Gehen Sie! Ich will Ruhe haben! Verstanden? Durch die Tür hören wir noch, wie er zu seinem Freund sagt:
    - Da kannst du was lernen, du Waschlappen! Wir hören auch den Lärm einer Prügelei, Schläge, den Krach umgeworfener Stühle, einen Fall, Schreie, Keuchen. Dann ist es still.

Unser erstes Schauspiel
    Die Magd singt oft. Alte Volkslieder und neue moderne Lieder, in denen vom Krieg die Rede ist. Wir lauschen diesen Liedern, wir üben sie auf unsrer Harmonika. Wir bitten auch den Adjutanten, uns Lieder aus seiner Heimat beizubringen.
    Eines Abends, spät, als Großmutter schon zu Bett gegangen ist, gehen wir in die Stadt. Beim Schloß, in einer alten Straße, bleiben wir vor einem niedrigen Haus stehen. Lärm, Stimmen, Rauch dringen aus der Tür, hinter der Kellertreppe. Wir gehen die steinernen Stufen hinunter und gelangen in einen als Schenke hergerichteten Keller. Männer, stehend oder auf Holzbänken und Fässern sitzend, trinken Wein. Die meisten sind alt, aber es sind auch ein paar junge darunter sowie drei Frauen. Niemand achtet auf uns.
    Einer von uns beginnt Harmonika zu spielen, und der andere singt ein bekanntes Lied, in dem von einer Frau die Rede ist, die auf ihren Mann wartet, der in den Krieg gezogen ist und bald zurückkommen wird, siegreich. Nach und nach drehen sich die Leute zu uns um; die Stimmen verstummen. Wir singen, wir spielen immer lauter, wir hören unsere Melodie am Gewölbe des Kellers widerhallen, als würde jemand anders spielen und singen.
    Als unser Lied zu Ende ist, heben wir die Augen zu den müden und eingefallenen Gesichtern. Eine Frau lacht und klatscht. Ein junger Mann, dem ein Arm fehlt, sagt mit heiserer Stimme: 
    - Weiter. Spielt noch was!
    Wir vertauschen die Rollen. Derjenige, der die Harmonika hatte, gibt sie dem andern, und wir stimmen ein neues Lied an.
    Ein sehr magerer Mann kommt taumelnd auf uns zu, er schreit uns ins Gesicht:
- Ruhe, ihr Hunde!
    Er stößt uns brutal zur Seite, den einen nach rechts, den andern nach links; wir verlieren das Gleichgewicht; die Harmonika fällt hin. Der Mann steigt die Treppe

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