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Das große Leuchten (German Edition)

Das große Leuchten (German Edition)

Titel: Das große Leuchten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Stichmann
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damals auch stark gewesen sein muss, denke ich, stark und verletzlich zugleich, jung eben. Lange bevor sie mich geboren hat.

    Der sich schließende Kreis. Das Gefühl, genau an diesem Punkt stehen zu müssen, um genau hier und jetzt Frieden mit meiner Mutter zu schließen. Der große Friedhofsmoment also.
    Den ich in keiner Weise empfinde.
    Weil wir uns eigentlich nie richtig kennengelernt haben und weil ich hier einfach nur auf einer beliebigen Erderhebung stehe, auf irgendeinem Häufchen Erde neben einer großen Wasseransammlung. Die sich jetzt auch noch unpassend golden einfärbt. Fast lächerlich. Dieser ganze Sonnenaufgang, der doch nichts ist als eine riesige optische Täuschung, irgendeine Strahlenstreuung, ein großes, falsches, märchenhaftes Leuchten. Weil die Sonne genau genommen ja noch nicht mal aufgeht , sondern wir hier seitlich wegkippen – als Erdball, der sich langsam dreht. Der uns auf eigent- lich widerliche Weise in Richtung der Sonne kippen lässt.

    Es sei aber so, dass man doch noch mal über alles nachdenken müsse, sagt Robert auf dem Rückweg. Denn letzten Endes ergebe immer alles einen Zusammenhang, und zwar wegen der limbischen Struktur , er habe da mal was drüber gelesen. In einem Buch über Schizophrenie. Es sei nämlich so, dass man ja gar nicht in der Lage sei, etwas Zufälliges wahrzunehmen – weil die limbische Struktur im Gehirn immer ein System in alles hineindenke, ob man wolle oder nicht. Allenfalls könne es vorkommen, dass man wahnsinnig werde und plötzlich anfange, zu viel in den Dingen zu erkennen, weil die limbische Struktur erkrankt sei. Das sei überhaupt die einzige Gefahr.
    Er dreht sich halb zu uns um.
    Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, den Anglerhut mit den Händen knetend beim Reden.
    Dass es nämlich auch die limbische Struktur sei, wo die Mystik sitze, mit der zumindest er ja sehr viel anfangen könne, da die Mystiker ja auch sagten, dass am Ende doch alles gleichmäßig sei oder so.
    Er hält seine Sandalen in den Händen.
    Steht da etwas hilflos im Versuch, etwas Positives zu sagen.
    Und ich denke, dass er wohl noch etwas sagen wird, aber er bleibt einfach stumm so stehen – mit diesem Drei-Tage-Bart, der ihn viel älter wirken lässt. Der ihn aussehen lässt, als hätte er viele Reisen unternommen in den letzten Jahren, um in diesem Augenblick sehr welterfahren hier zu stehen.
    Als Glaubensmann.
    Als Globetrotter.
    Während er tatsächlich für einen seltsamen Moment – was ich ihm gar nicht sagen will – aussieht, als könnte man eigentlich nur exakt so aussehen auf der Welt. Als sei es angesichts der Gesamtsituation eigentlich die einzig einleuchtende Antwort, dieser Robert hier zu sein. Ganz genau so.

2
    Als wir die Orangenfarm wiedergefunden haben, ruft jemand nach uns. Es ist einer von Abus Cousins, er sitzt inmitten der Familie auf der Terrasse und winkt uns ran.
    Frances’ Stimme ist zu hören. Merkwürdig blechern in der Luft. Sie kommt aus kleinen Boxen, die links und rechts neben einem Laptop aufgebaut sind.
    «Kommt sofort nach Hause» , ruft sie. «Ihr müsst sofort nach Hause kommen, hallo? Robert? Rupert?»
    Die Familie macht uns Platz, ich sehe: eine Skype-Verbindung nach Deutschland, ein Internetcafé. Frances und Omid, via Skype plötzlich im Orangengarten anwesend. Offensichtlich selber ziemlich desorientiert. Abu lächelt und sagt, er habe Omid seine Skype-Adresse gegeben, damit er und seine Familie endlich mal unsere Mutter sehen könnten. Er macht die Boxen lauter und richtet seine eigene Kamera aus, und seine ganze Familie lächelt und freut sich, während Frances und Omid das Ganze offenbar weniger witzig finden. Frances ist halb aus dem Bild gerutscht und guckt immer nach unten, sucht nach der Kamera, und Omid fuchtelt genervt neben ihr herum.
    «Hallo nach Deutschland!», ruft Abu in den Computer.
    Auch die anderen Familienmitglieder grüßen, auf Persisch und Englisch, und dann hat Frances plötzlich die Kamera gefunden und guckt ganz grade zu mir raus.
    «RUPERT», sagt sie. «Ihr müsst SOFORT nach Hause!»

[zur Inhaltsübersicht]
    Dark Psy
    1
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