Das große Leuchten (German Edition)
glaubte es. Darum lachte sie.
«Das kann man sich ja gar nicht vorstellen! Einfach GESCHENKT! Die Leute sind eben doch viel besser, als du immer denkst! Was machen wir mit dem Geld?»
«Das werden wir schon noch sehen.»
Ich verstaute es in meinem Rucksack. Ich wollte so schnell wie möglich eine Wohnung anmieten, aber ich wollte Ana erst einweihen, wenn ich alles eingefädelt hätte – sie war einfach noch nicht zurechnungsfähig, sie war einfach noch zu kränklich, um zu begreifen, was das Beste für uns war.
Am nächsten Morgen stand ich in der Telefonzelle, eine freundliche Wohnungsmaklerinnenstimme am Ohr. Die Wohnung lag im Schneeweg 9 am anderen Ende der Stadt und wurde in der Annonce als ruhig und friedlich beschrieben – ich stellte mir ein nettes kleines Zuhause mit Balkon und Kinderzimmer vor, ein Zuhause, das eigentlich auch zu der hellen, mütterlichen Stimme der Wohnungsmaklerin passte. Sie klang so nett, dass ich Lust hatte, länger mit ihr zu plaudern, so von Bürger zu Bürgerin, über das Wetter vielleicht, über die ewige Verspätung der Bahn, über die Bürgermeisterwahl, über die Verrohung der Jugend oder Ähnliches. Aber der Termin war schnell abgemacht, morgen um zwei, die Maklerin wünschte mir noch einen wunderschönen Tag und legte auf. Wahrscheinlich hatte sie angenommen, dass Ana und ich ein nettes Studentenpärchen waren, dass ich von einer anderen netten Wohnung aus anrief. Ich hatte ihr natürlich nicht gesagt, dass sie es mit Obdachlosen zu tun haben würde.
Auf dem Marktplatz kaufte ich zwei Namenstassen für Ana und mich, wobei es Ana nur als ANNA mit zwei N gab – aber ich sagte mir, dass man das eine N abknibbeln konnte, dass es dann ein schönes Geschenk sein würde.
Ich kam an einem Brunnen und an einer Kirche und an einer Grundschule vorbei, und der Himmel war hellblau mit ein paar leichten, schön hineinkomponierten Wolken, und auf einer Parkbank saß Anas Vater und hatte den Kopf in den Nacken gelegt.
Er war es wirklich, auch wenn er fast ein bisschen durchsichtig wirkte, wie ein Hologramm.
Sehr blass, sehr dünn und sehr unscheinbar, wie er da saß.
Aber es ist keine Erscheinung, dachte ich, sondern vielmehr eine Prüfung, ein Schicksalstest: Das Schicksal will eben testen, ob du auch wirklich solide werden kannst, ob du in deiner neuen Art schon verantwortungsvoll genug bist, um hier auf den Vater deiner Freundin zuzugehen.
Als Bürger und Lebensteilnehmer. Als verantwortlicher Dreidimensionaler.
2
Er nahm mich mit in das Männerwohnheim Nicasius , wo er inzwischen wohnte. Es lag in einem kleinen, noch dreckigeren Bezirk. Als wäre man innerhalb von zwanzig Minuten in einer ganz anderen Stadt angekommen, dachte ich, als wir im Gemeinschaftsraum saßen und aus dem Fenster guckten: Unverständliche Rufe und Flaschenklirren drangen von der Straße hoch, im leerstehenden Haus gegenüber schien eine Schlägerei oder so was im Gange zu sein, kurz sah mich ein junger, aus der Nase blutender Mann erschrocken aus dem Fenster heraus an. Eine glücklose Version meiner selbst, so kam es mir vor, jemand, der es nie mehr schaffen würde und das vielleicht grade in diesem Moment schlagartig begriff.
Der Gemeinschaftsraum war von einer schwachen, bläulichen Röhre beleuchtet. Es roch nach Grippe und alten, ungewaschenen Männern. Omid wich meinem Blick aus, er wirkte genervt, als hätte er mich lieber doch nicht mitgenommen – während ich ihn möglichst wohlwollend und warm anzugucken versuchte. Ich sagte mir, dass das einfach eine der Regeln war, die man als Einsteiger lernen musste: dass es ab einem gewissen Punkt eben notwendig war, zu manchen Leuten netter zu sein. Es funktionierte eben so, dass man Leute um sich versammelte, zu denen man sich freundlich verhielt, damit sie es umgekehrt auch tun würden. Eine logische Sache, man musste ja Bekannte und Freunde haben. Und jetzt hatte ich eben diesen Mann hier vor mir, Omid, auch wenn er vielleicht keiner war, den man sich aus einer größeren Auswahl unbedingt dafür ausgesucht hätte.
«Warum wohnst du denn nicht mehr im Betonhäuschen?», sagte ich.
«Verschimmelt», sagte er.
«Geht es dir hier gut?»
«Was interessiert DICH das eigentlich? DIR ist es doch egal! DU nimmst mir einfach meine Tochter weg! Was willst du überhaupt?»
Und er sah wieder verächtlich an mir vorbei. Weil ich ihm nicht verraten wollte, wo genau Ana war. Aber ich hatte ihm immerhin gesagt, dass es ihr gutgeht, dass ich sie von ihm
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