Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
mir packte seine Posaune aus, und vorn neben der Kanzel spielten die Ministers of Sound: Archbishop Franzo King in seiner schönen lila Soutane am Tenorsaxophon, Reverend Wanika King-Stephens, die Pastorin, am Bass, Brother Frederick Harris am Schlagzeug und Mother Marina King and the Sisters of Compassion singen.
» This is not entertainment«, sagte die Pastorin zu Beginn, und in der Tat, es war einer der innigsten Gottesdienste, die ich je erlebt habe, inklusive einer tränentreibend schönen zwanzigminütigen Version von Coltranes tief spirituellem A Love Supreme , so ekstatisch wie das Original. Jazz kroch immer wieder in die zweistündige Veranstaltung hinein. Während der Predigt, in der es um die geistliche Erneuerung ging und die Notwendigkeit, jeden Tag ein wenig zu sterben, um das alte Leben abzulegen, improvisierte der Pianist gedankenverloren auf Coltranes Klassiker » Every time we say goodbye« herum, und wir Jazz-Liebhaber im Publikum in der Gemeinde grinsten. Denn das Lied geht so weiter: » Every time we say goodbye I die a little«. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber diese zwei Stunden habe ich innerlich auf Knien verbracht. So also funktioniert Andacht. Jeder für sich und alle zusammen, ein Konzert der Hirne und der Herzen.
Gerade in diesem Jahr des Alleinreisens berühren mich solche Momente der Zugehörigkeit ganz besonders stark. Und ich habe sie stets besonders stark in den USA erlebt. Immer kam mir das Land wie ein gigantischer Club vor, in dem jeder herzlich willkommen ist, weil jeder etwas beizutragen hat (und sei es mit einer Rassel). Das war schon vor fünf Jahren so, als ich Dich in Reids Wohnzimmer beim Sunday Night Movie Club kennenlernte und sich für mich– ähnlich wie in diesem Jahr– ein wunderbarer Reigen aus Begegnungen und großzügigem Teilhabenlassen entwickelte. Ich werde Dir nie vergessen, wie Du mit mir sechseinhalb Stunden kreuz und quer durch die Südspitze von Manhattan gelaufen bist und mich an die Hand genommen hast, als wir Ground Zero erreichten. Und mir ein Taschentuch reichtest, als ich in Tränen ausbrach.
Aber zurück zu meinem Geburtstag. Nach dem Gottesdienst war die Seele gut genährt, jetzt war der Leib fällig. Ich hatte mir einen Tisch im Sutro’s reserviert, einem Edelrestaurant im alten Cliff House am Ocean Beach. Die Sutro Baths, 1896 eingeweiht und 1966 nach einem Brand geschlossen, waren mal das größte Schwimmbad der Welt, mit einem Süßwasser- und sechs Salzwasserpools (alle mit unterschiedlichen Temperaturen). Das Bad war damals eine technische Sensation, es gibt sogar noch einen reizenden alten Filmschnipsel darüber, den Thomas Alva Edison persönlich gedreht hat. Du weißt ja, ich habe eine Schwäche für Superlative, besonders für historische Superlative. Alles, was zu irgendeinem Zeitpunkt mal das größte, schönste, neueste Ding war, gefällt mir, jedes Zeugnis von Mut und Übermut, von Wagnis und Wahnsinn, auch wenn es längst von der Zeit überrollt wurde. Genau an so einem Ort wollte ich meinen Geburtstagslunch einnehmen.
Allein zu essen finde ich nicht ganz so wundervoll wie allein zu reisen. Zwar hat es dieselben Vorteile– man konzentriert sich ganz und gar auf das, was vor einem liegt und was um einen herum passiert–, aber ich bin nun mal ein klassischer Gesellschaftsesser und -trinker. Esse ich allein, speise ich mich normalerweise schnell ab, mit einem Joghurt, einem Käsebrot, einer Suppe, irgendwas Unaufwendigem. Mich selbst zum Essen einzuladen ist noch neu für mich, gefällt mir aber immer besser. Nie habe ich so aufmerksam gegessen und dankbar genossen wie allein– zumal ich feststelle, dass an den meisten Zweiertischen nicht viel mehr geredet wird als an meinem eigenen Tisch.
Was ich hier bei Euch so sehr zu schätzen weiß: Wer allein essen geht, bekommt nicht etwa den Katzentisch, sondern einen Logenplatz, in diesem Fall direkt am Fenster zum Ozean. Und weil ich meinen Tischnachbarn gegenüber meinen Geburtstag erwähnte, brachte der Kellner, der im Hintergrund zugehört hatte, am Ende ein Butterscotch Pot de Crème mit einer Kerze. So was passiert mir nicht zum ersten Mal. Wenn ich allein esse, wird mein Weinglas voller geschenkt, mir ein Tellerchen Petit Fours hingestellt, bleibt der Kellner auch mal für einen Plausch stehen. Gelangweilt habe ich mich nur selten.
Bis hierhin war der Tag also schon mal ganz gut. Aber jetzt. Was ich bislang noch nicht geschafft hatte, wurde heute unvermeidlich: Um nach
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