Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Geld lieber gespendet.
In Deutschland ging der Fall der ersten Millionen-Gewinnerin bei Wer wird Millionär? durch die Presse, die sich nach der Sendung erst mal vier Alfa Romeo und einen Mercedes SLK gekauft hatte. Inzwischen sei sie verarmt, mit ihrer Familie zerstritten und könne sich nicht einmal neue Zähne leisten, heißt es– die klassische Horrorstory des Lottofluchs, der die Gewinner nur ins Unglück stürzt.
So etwas könnte mir zwar nie passieren, dafür habe ich als Kaufmannstochter ein viel zu nüchternes Verhältnis zum Geld. Aber ich habe auch noch kein Gefühl dafür, was man mit zu viel davon sinnvollerweise anfängt– außer zu reisen natürlich. Deshalb höre ich gerade besonders gut zu, wenn es um kluge Investments geht. Und damit meine ich keine Kapitalstrategien.
Als mich Carls Sohn Dale Djerassi (der normalerweise in meinem Apartment wohnt, wenn er in der Stadt ist) aufs Land einlud, um mir das Stipendiatenprojekt der Familie zu zeigen, bin ich natürlich sofort losgefahren. Das Haus des Djerassi Resident Artists Program liegt eine knappe Stunde südlich von San Francisco auf einer alten Ranch, die von den Djerassis früher zur Rinderzucht genutzt wurde. Je einen Monat lang können hier Künstler aller Richtungen– Maler, Schriftsteller, Choreographen, Komponisten– in Ruhe arbeiten, für Kost und Logis ist gesorgt. Überall auf dem 5,6 Quadratkilometer großen Grundstück haben die bisherigen Stipendiaten Spuren in den Redwood-Wäldern und auf den Feldern hinterlassen. Dale fuhr mich zu einigen gottverlassenen Stellen mitten im Wald, wo plötzlich Kunst aus der Erde wächst. Berührend schön, wie diese Werke still und stumm in der Einsamkeit stehen– und allmählich verschwinden, das Verrotten ist Teil des Prozesses.
Abends treffen sich alle auf der Terrasse vor dem ehemaligen Verwalterhaus zum Essen. An diesem Tisch sind schon viele Gemeinschaftsprojekte entstanden. An jenem Abend saß ich mit einer Komponistin aus Buenos Aires, einer Dichterin aus New York, einer in Wien lebenden Videokünstlerin aus Sibirien und einem Choreographenpaar aus Chicago beim Essen. Wir redeten durcheinander, lachten, schossen Ideen über den Tisch.
Ich hatte ein merkwürdiges Déjà-vu, bis mir einfiel: Genau so hatte ich mir vor ein paar Jahren mal eine Szene meines perfekten Tages ausgemalt, erst im Februar habe ich meiner besten Freundin davon aus Buenos Aires gemailt.
Fast unheimlich, wenn aus so einer Schnapsidee, einer wilden Phantasie plötzlich Wirklichkeit wird– ein Gänsehautgefühl, wie ich es ganz oft in diesem Jahr habe. Als ob sich ein Plan entfaltet, den ich noch nicht überblicke. Du magst mich für verrückt halten, aber es ist, als ob ich die Mechanik einer gewaltigen Zusammenhangsmaschine im Off klappern höre. Es gab schon so viele seltsame Synchronizitäten in diesem Jahr– können all die Zufälle Zufall sein? Oder liegt es einfach daran, dass ich die Zeit habe, aufmerksamer hinzuschauen? Und deshalb mehr Koinzidenzen und Zusammenhänge entdecke? Um nicht zu sagen: Sinn? Und da wären wir wieder am Anfang dieses Briefes: dem San-Francisco-spezifischen Gefühl, Teil einer ziemlich dollen Story zu sein.
Ich musste zum Beispiel lachen, als ich erfuhr, dass mein Geburtstag, der 19. Juni, hierzulande als Juneteenth gefeiert wird oder auch als Freedom Day– der Tag, der das Ende der Sklaverei in den USA markiert. Mein Gott, wie gut das passt in diesem Freedom Year, in dem ich 365 Tage Geburtstag feiere und für jeden einzelnen dankbar bin. Was für ein Geschenk, dieses Jahr! Und wie froh ich bin, dass ich es mir selbst gemacht habe.
Du wolltest ja wissen, wie ich den Tag verbracht habe. Ich hatte vorher lange darüber nachgedacht: Was macht man an einem Tag, an dem man alles machen kann, wenn er in einem Jahr liegt, in dem man alles machen kann? (Und, wenn man mal darüber nachdenkt: in einem Leben, in dem man alles machen kann.) Weil er auf einen Sonntag fiel, wollte ich ihn klassisch beginnen lassen: in der Kirche. Allerdings in einer nicht wahnsinnig klassischen Kirche. Sondern in der St. John Coltrane African Orthodox Church in der Fillmore Street, die den großen Jazzsaxophonisten John Coltrane als Heiligen verehren: Überall hängen Bilder, die ihn im Stil russischer Ikonenmalerei zeigen. Mit Tenorsaxophon.
Der sonntägliche Gottesdienst war deshalb auch mehr Jam Session als Gebetsgemurmel. Die Gemeinde bekam Tambourine und Rasseln in die Hand gedrückt, der Mann neben
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