Das grosse Muminbuch
war einfach so. Wenn der Mond aufging, wachte er auf und musste hinaus.
Die Morra kam immer. Sie stand etwas vom Ufer entfernt im Wasser, und ihre Augen folgten den Bewegungen des Lichtes. Wenn er die Laterne löschte, floss sie lautlos wieder hinaus ins Dunkel, und Mumintroll ging nach Hause.
Doch jede Nacht kam sie näher. Und in dieser Nacht saß sie im Sand und wartete.
Mumintroll blieb bei den Espen stehen und stellte die Sturmlaterne auf den Boden. Die Morra hatte gegen die Regeln verstoßen, indem sie an Land gekommen war, das war verkehrt. Sie hatte auf der Insel nichts zu suchen. Sie war für alles, was wuchs und lebendig war, gefährlich.
Schweigend standen sie einander gegenüber, wie sie es immer taten. Doch die Augen der Morra wanderten langsam von dem Licht zu Mumintroll hin, und sie schaute ihn an. Das hatte sie noch nie getan. Was für kalte Augen, und wie angstvoll! Der Mond glitt zwischen die Wolken, er leuchtete auf und verlosch, der Strand war voll fliehender Schatten.
Dort, von der Landspitze her, kamen die Seepferdmädchen angelaufen. Sie kümmerten sich kein bisschen um die Morra, sie jagten einander im Mondschein, sie spannten ihre Regenbögen auf, und mit kleinen harten Hufen liefen sie zwischen ihnen hindurch. Mumintroll sah, dass eines von ihnen sein Hufeisen verloren hatte. Es hatte nur drei.
Das Seepferdmädchen war wirklich geblümt, Blumen, die an Margeriten erinnerten und zum Hals und zu den Beinen hin kleiner wurden. Oder vielleicht sollten es Seerosen sein, das wäre poetischer. Jetzt lief es auf die Windlaterne zu, sie fiel um.
Du störst meinen Mondschein. Meinen Mondschein, rief das kleine Pferdchen.
Oh, verzeih, sagte Mumintroll und löschte das Licht aus, so schnell er konnte. Ich habe dein Hufeisen gefunden ...
Das Seepferdmädchen blieb stehen und legte den Kopf auf die Seite.
Aber ich habe es leider meiner Mutter geschenkt, fuhr Mumintroll
fort.
Das Mondlicht verschwand, die stampfenden Hufe kamen zurück, und Mumintroll hörte die Seepferdchen lachen.
Hast du gehört? Gehört? riefen sie sich zu. Er hat es seiner Mutter geschenkt. Seiner Mutter. Seiner Mutter.
Sie galoppierten auf ihn zu und strichen dicht an ihm vorbei, die Mähnen flogen ihm über die Schnauze, weich und ein bisschen stickig wie Wollgras.
Ich kann sie bitten, es zurückzugeben. Ich kann es holen, rief Mumintroll ins Dunkel.
Der Mond kam wieder zum Vorschein. Er sah, wie die Seepferde hinaus ins Meer schritten, Seite an Seite, ihr Haar flatterte um sie herum. Sie waren beide ganz gleich. Das eine drehte den Kopf und rief von weitem, eine andere Nacht ...
Mumintroll setzte sich in den Sand. Sie hatte mit ihm gesprochen. Sie hatte versprochen zurückzukommen. Mondschein würde es noch viele lange Nächte geben, wenn es sich nicht bewölkte. Und er würde aufpassen und nicht die Sturmlaterne anzünden.
Mumintroll spürte plötzlich, dass er am Schwanz fror, und er sah, dass der Sandstrand um ihn herum gefroren war. Hier hatte die Morra gesessen.
In der nächsten Nacht ging er ohne das Sturmlicht an den Strand. Der Mond war jetzt im Abnehmen. Bei Neumond würden die Seepferdchen ihren Spielplatz woandershin verlegen. Das wusste er, er fühlte es.
Mumintroll hatte das silberne Hufeisen mit. Es war nicht leicht gewesen es zurückzubitten. Seine Schnauze war rot geworden, und er war schrecklich verlegen gewesen. Die Mutter hatte das silberne Hufeisen vom Nagel genommen und hatte nichts gefragt.
Ich habe es ordentlich mit Scheuerpulver geputzt, sagte sie. Guck mal, wie blank es geworden ist.
Nichts weiter und mit ganz gewöhnlicher Stimme.
Mumintroll hatte gemurmelt, sie würde dafür irgend etwas anderes bekommen, und war mit eingezogenem Schwanz davongegangen. Er konnte es ihr doch nicht erklären, das mit dem Seepferdmädchen, irgendwie ging das nicht. Wenn er nur ein paar Muscheln auftreiben könnte! Eine Mutter mag sicher lieber Muscheln als Hufeisen. Für ein Seepferdchen musste es einfach sein, auf dem Meeresboden ein paar große schöne Muscheln zu finden. Wenn einem Seepferdchen Mütter nun aber gleichgültig sind? Vielleicht war es am sichersten, wenn er nicht fragte ...
Es kam nicht.
Der Mond sank, und keine Seepferde kamen. Gewiss, es hatte gesagt «eine andere Nacht», nicht «nächste Nacht». Eine andere Nacht konnte jederzeit sein. Mumintroll saß da und ließ den Sand durch die Finger gleiten. Er war furchtbar müde.
Und dort kam die Morra, natürlich.
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