Das Große Spiel
schreiben, Madame«, empfahl ihre Kammerzofe.
Rebecca war außer sich vor Wut. Sie beschimpfte die Zofe aufs Gröbste und wies sie zornig aus dem Haus. Als die Zofe mit ihrem kleinen Koffer die Treppen zur Eingangshalle hinunterstieg, kam die junge Frau ihr hinterher und bat sie unter Tränen zu bleiben. Als Rebecce später das Personal anwies, die Vorhänge zuzuziehen und ihr einen echten schottischen Whiskey zu besorgen, alarmierte die Dienerschaft Catherine. Catherine wurde jedoch an der Pforte abgewiesen. Madame sei krank und könne niemanden empfangen. Also bat Catherine schließlich John, seine Schwägerin zu besuchen.
John Law wurde der Eintritt nicht verwehrt. Die Kammerzofe brachte John in Rebeccas Schlafgemach. Es war abgedunkelt. John setzte sich an ihr Bett. Rebecca flüsterte, dass niemand das Ausmaß ihres Leidens nachempfinden könne.
»Sind Sie krank?«, fragte John.
Rebecca öffnete kurz die Augen und schloss sie wieder.
»Ich habe geträumt, dass ich William nie mehr wiedersehen werde, John.«
»Rebecca, wollen Sie sich mit mir über Träume unterhalten?« Er konnte seinen Unmut nicht verbergen.
Rebecca erschrak. Sie öffnete die Augen und richtete sich auf. Ihr Oberkörper war nackt. Betont langsam zog sie die Bettdecke hoch, bis ihre Brust annähernd verhüllt war.
»Ja«, sagte Rebecca zornig, »ich wollte mich Ihnen anvertrauen, über meine Gefühle sprechen, aber Ihr Interesse gilt einzig und allein Ihren Aktien. Reden wir also über Aktien! Der Kurs kommt nicht vom Fleck. Falls William eines Tages zurückkehrt, werden seine Aktien nichts mehr wert sein. Und was wird er davon haben? Schulden! Nichts als Schulden!«
John Law stand auf und riss die Vorhänge auf. Gleißendes Sonnenlicht fiel in den Raum. Rebecca hielt schützend die Hand vor die Augen.
John Law trat an Rebeccas Bett.
»Was wollen Sie, Rebecca?«, fragte er mit ernster Stimme.
Rebecca senkte langsam die Bettdecke und entblößte ihren Busen: »Nehmen Sie mich in Ihre Arme, Monsieur. Ich gehöre Ihnen.«
John Law saß mit finsterem Blick an seinem Schreibtisch vor dem Fenster. Zu seiner Rechten befand sich der Schreibtisch von Angelini. Angelini beobachtete seinen Herrn.
»Sie wirken müde, Monsieur«, wagte Angelini eine Konversation. Er sah John Law fragend an. Nach einer Weile erwiderte dieser den Blick und lächelte vor sich hin. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber bleiben.
»Die Käufe des Regenten haben dem Kurs Auftrieb gegeben, aber wir sitzen immer noch auf einem riesigen Aktienberg«, sagte Angelini.
»Uns fehlen gute Nachrichten«, sagte John Law.
»Ihr Bruder wird jede Menge gute Nachrichten mitbringen müssen, um die Fantasie der Anleger anzuregen.«
»Bieten Sie den Aktionären einen Rückkauf ihrer Aktien mit einem Aufschlag von zwanzig Prozent an«, sagte John Law kurz entschlossen.
»Dann sitzen wir auf noch mehr Aktien, Monsieur.«
»Keine Nachricht ist so gut wie die Geschichte, die sich in der Fantasie von Anlegern entwickelt. Wenn der Kurs um zwanzig Prozent steigt, werden einige verkaufen. Sie werden überall mit ihren Gewinnen prahlen. Die Leute werden denken, dass es Neuigkeiten aus der Neuen Welt gibt. Informationen, die sie noch nicht haben. Sie werden kaufen. Gerüchte werden entstehen. Und jede Prophezeiung wird sich nachträglich von selbst erfüllt haben. Wir müssen die Anleger zu ihrem Glück zwingen.«
»Ich danke Gott, dass sich die beiden Jungen so gut verstehen«, sagte die Witwe d'Orleans, als die beiden Knaben im Galopp am Ufer des Großen Kanals entlangpreschten. John Law und Catherine verneigten sich respektvoll vor der alten Dame. Sie ging auf die siebzig zu und hatte sich eine Menge Kummerspeck zugelegt. Majestätisch thronte sie auf der mit Kissen gepolsterten Sitzbank der venezianischen Gondel, die langsam, von einem italienischen Gondoliere gesteuert, den Kanal hinter dem Versailler Schloss entlangfuhr. John und Catherine saßen auf der etwas tiefer gelegenen Sitzbank. Am Ufer winkte die höfische Gesellschaft im Schatten der Bäume.
»Es ist für uns eine große Ehre, Madame, die Mutter unseres sehr verehrten Regenten persönlich kennen zu lernen«, sagte John Law und erwiderte das warmherzige Lächeln der aus der deutschen Pfalz stammenden Prinzessin.
»Philipp hat mir so viel von Ihnen erzählt, Monsieur. Es war auch meinerseits ein Bedürfnis, die Bekanntschaft des großen John Law zu machen. Sie üben einen wunderbaren Einfluss auf meinen Sohn
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