Das Große Spiel
aus, Monsieur. Er trinkt keinen Tropfen Alkohol mehr.«
Sie verfolgte mit den Augen den Ritt der beiden Jungen, die soeben das Ende des Kanals erreicht hatten und ihren Pferden erneut die Sporen gaben.
»Philipp hasst Versailles. Aber jedes Jahr am neunten Juni muss er mir hier Gesellschaft leisten. Sein Vater, er hieß leider auch Philipp, starb heute vor achtzehn Jahren bei einem seiner zahlreichen Gelage. Ich feiere diesen Anlass stets mit einer guten Flasche Bordeaux.«
John Law und Catherine wechselten kurze Blicke.
»Philipps Vater machte sich nicht viel aus Frauen. Was man von seinem Bruder, dem Sonnenkönig, wahrlich nicht behaupten kann. Sie können sich vorstellen, dass es für eine junge Frau keine amüsante Ehe war. Ich habe mich daraufhin dem Essen zugewandt. Das Essen ist, wenn Sie so wollen, die Wollust des Alters«, lächelte Charlotte von der Pfalz, die bei Hofe nur die Witwe d'Orleans genannt wurde.
Die beiden Jungen galoppierten nun an der höfischen Gesellschaft vorbei. Diener servierten mit Eis gekühlte Fruchtsäfte.
»Unser junger König reitet schon sehr manierlich, möchte ich sagen. Für seine neun Jahre. Wie alt ist denn Ihr Junge, Monsieur?«
»Vierzehn«, antwortete John Law. »Unser Sohn ist bereits vierzehn. Zum Reiten hatte er bisher wenig Gelegenheit.«
»Das wird sich ändern«, lachte die Witwe d'Orleans. Sie hatte eine sehr erfrischende, direkte Art, mit anderen Menschen zu sprechen: »Der junge König schätzt die Gesellschaft Ihres Sohnes sehr, Monsieur. Ihre Ankunft in Paris ist ein Segen für ihn, aber auch für unseren Regenten. Und für Paris. Und wer weiß, vielleicht für unsere ganze Nation.« Die Witwe lachte und schüttelte dabei ihren ganzen Körper. Die Gondel schaukelte.
»Das ist mein Bestreben, Madame, Frankreich zur mächtigsten Nation der Welt zu machen.«
Charlotte von der Pfalz lächelte amüsiert: »Monsieur, ich will Aktien kaufen!«
»Nennen Sie mir die Stückzahl, Madame, und ich verspreche Ihnen, dass ich mein Möglichstes tun werde!«
»Ich kann mich auf Sie verlassen?«, fragte die Witwe d'Orleans streng.
»Aber selbstverständlich ...«, entgegnete John Law. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch die alte Dame hatte noch mehr auf dem Herzen.
»Als Witwe muss ich selbst darauf achten, dass meine Verhältnisse stimmen, Monsieur. Als mein Mann vor achtzehn Jahren starb, erschütterte mich nicht die Vorstellung, dass er nun tot war, sondern die Erkenntnis, dass mir als Witwe nur noch der Gang ins Kloster blieb. Ich bin unserem verstorbenen König Louis XIV. zu ewigem Dank verpflichtet, dass er mir dieses Schicksal ersparte und mir diskret die Mittel zur Verfügung stellte, um als Witwe in Versailles überleben zu können. Auch mein Sohn kümmert sich um mich, aber leider hat er die eine oder andere Tugend von seinem Vater geerbt.« Sie schaute John Law eindringlich an. Nach einer Weile sagte sie: »Ich habe bereits mit vierzig die Pest überlebt, denken Sie nur. Alle sterben, und die Dicke von der Pfalz wacht jeden Morgen wieder auf.« Die Witwe d'Orleans lachte dröhnend und brachte die Gondel erneut zum Schaukeln.
»Ich kann Ihnen, Madame, noch ein ganz besonderes Angebot unterbreiten«, begann John Law vorsichtig, »ich habe Ihrem Sohn Philipp d'Orleans das Angebot unterbreitet, für fünfzig Millionen Livre die Rechte an der Königlichen Münze zu erwerben. Falls er zustimmt, werde ich diese Übernahme mit der Emission einer dritten Aktientranche finanzieren. Mit fünfzigtausend petites filles, so nennen wir die Aktien der dritten Emission. Wenn Sie nun aber eine Aktie der dritten Emission kaufen wollen, brauchen Sie dafür nicht Bargeld, sondern vier Aktien der ersten Emission und eine Aktie der zweiten Emission. So treiben wir die Preise für die Aktien der ersten und der zweiten Emission in die Höhe. Aber Sie, Madame, Sie erhalten, was Sie begehren.«
»Vorausgesetzt, dass mein Sohn dem Verkauf der Königlichen Münze zustimmt?«, schmunzelte die Witwe d'Orleans.
»So ist es, Madame.«
Die offene Kutsche der Witwe d'Orleans wartete beim Landesteg. Mit einigem Aufwand versuchten drei Diener, der korpulenten Prinzessin an Land zu helfen. Die Witwe, John und Catherine bestiegen die Kutsche. Bei der höfischen Gesellschaft hielten sie an.
»Madame, lassen Sie uns essen gehen«, rief der Duc d'Orleans seiner Mutter zu. Er löste sich aus der Umarmung seiner neuen Mätresse und versuchte, sich aufzurichten. Doch er schaffte es nur bis
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