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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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getreten und platt gedrückt wie eine Ledersohle.
    Der Hauptsitz der Mississippi-Kompanie, der mittlerweile größten Handelsgesellschaft der Welt, öffnete an diesem 17. September 1719 an der legendären Rue Quincampoix, die bereits im zwölften Jahrhundert die Straße der Geldwechsler gewesen war, ihre Tore. John Law hatte eine vierte Aktienemission lanciert, diesmal waren es hunderttausend Aktien, die er cinq-cents nannte und bei einem Nominalwert von fünfhundert Livre für fünftausend anbot.
    Die Gier nach dem schnellen Gewinn ließ alle sozialen Schranken fallen. In der Rue Quincampoix wurden nicht nur Aktien gekauft und verkauft, sondern auch Informationen ausgetauscht. Hier wurde ein Matrose, der soeben aus Spanien zurückgekehrt war, bedrängt, weil man annahm, er hätte möglicherweise einen anderen Matrosen getroffen, der einen Matrosen kannte, der Beziehungen hatte zu einer Hafenkneipe, in der Matrosen verkehrten, die ab und zu Kontakt hatten zu Matrosen, die aus Louisiana zurückgekommen waren. Und wo Fakten und Zahlen fehlten, blühte die Spekulation und der Aberglaube. Soldaten versuchten, eine verrückt gewordene Menge mit Drohungen und Gewalt zu bändigen. Doch kaum schrie eine Zofe, sie habe ein paar Aktien zu verkaufen, ertönte ein orkanartiges Aufjaulen, und die Meute hetzte wieder in die andere Richtung.
    Daniel Defoe hatte alle Mühe, den Sitz der Mississippi-Kompanie zu erreichen. Kaum hatte er sich ein paar Schritte nach vorn gekämpft, wurde er von der nächsten Menschenwelle zurückgeworfen und gegen Kutschen und Hauswände gedrückt. Es war schier zum Verrücktwerden. Neben ihm fluchten ein paar Italiener, die eigens aus Rom angereist waren, um Aktien zu erwerben, am Boden wimmerte ein junger Holländer, dem eine Kutsche das Schienbein gebrochen hatte. Die Leute wollten Aktien, Aktien und nochmals Aktien. Und zwar für viertausendfünfhundert Livre das Stück. Das war das Zehnfache des Emissionspreises von vor vier Monaten.
    »Brief viertausendsiebenhundert«, schrie ein schmächtiger Mittdreißiger in ockerfarbener Livree. Es kam einem Todesurteil gleich. Zahlreiche Menschen kämpften sich nun gegen den Strom zum Verkäufer durch, der in ängstlicher Erwartung mit dem Rücken zu einer Hauswand stand. Daniel Defoe wurde mitgerissen und hatte keine andere Wahl. Es war erstaunlich, wie erdrückend stark eine Menschenmenge wurde, wenn sie einmal in Bewegung geraten war.
    »Vier-acht!«
    »Vier-acht-fünf!«
    »Vier-neun!«
    »Fünf-eins!«
    Die Menschen streckten die geballten Fäuste in den Himmel, fuchtelten mit Geldbörsen und Geldscheinen herum und ruderten sich fluchend und brüllend zu dem schmächtigen Diener im ockerfarbigen Jackett durch. Daniel Defoe wurde einmal mehr gegen die Hauswand gepresst.
    Ein fetter Kerl in schwarzer Sutane ließ seinen ausgestreckten Arm wie ein geübter Pikettier nach vorne sausen und streckte dem sichtlich erschrockenen Diener Geldscheine entgegen. »Für die Kirche«, brüllte er, »acht Stück zu fünf-eins!«
    »Hundertzwanzig Stück«, schrie der Diener. Er schien den Tränen nahe und rollte die Augen. Ein junger Adliger, der wie ein ausgelaufenes Fass Bordeaux stank, stieß dem Geistlichen mit aller Wucht seinen Ellbogen in den Bauch. Dies erboste den Kapuziner derart, dass er lauthals Gottes Hilfe erflehte, die Arme gegen den Himmel streckte und dabei Daniel Defoe, der hinter ihm stand, die Faust ins Gesicht rammte. Zwei junge Bäckerburschen hatten sich nun einen Weg zum Diener in der ockerfarbenen Livree geschlagen. Während der eine Bursche die Konkurrenz fern hielt, kaufte der andere dem erschöpften Diener die hundertzwanzig Aktien zu fünftausendeinhundert Livre ab. Sechshundertzwölftausend Livre für Aktien, die vor vier Monaten noch vierundfünfzigtausend Livre gekostet hatten.
    Kaum hatten die beiden Bäckerburschen die Aktienpapiere in der Hand, brüllte der eine: »Brief fünftausendvier ...«
    An der Hauswand gegenüber schrie einer: »Brief fünftausenddrei...«
    Nun bewegte sich die Menge auf die andere Seite der Gasse. Daniel Defoe und der Livrierte atmeten auf. Mittlerweile steckten Kutschen und Pferde in der Gasse fest, immer mehr Menschen gerieten in Panik, andere lagen schwer verletzt am Boden, doch niemand erbarmte sich ihrer. Die Menschen wollten Aktien, nichts als Aktien.
    Daniel Defoe warf dem Livrierten einen Blick zu und grinste. Der grinste zurück: »Ich sollte lediglich für viertausendsiebenhundert verkaufen«,

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