Das Große Spiel
jemanden verletzen. Nach der ersten Runde schieden vier Fechter aus. Es gab keine Überraschungen. John, George, Mr Hamilton und Robert, der Sohn von Reverend James Woodrow, kamen in die nächste Runde. Routiniert besiegte John seinen Kameraden Robert, während sich Mr Hamilton und George ebenbürtig duellierten. Der Fechtlehrer beschränkte sich vornehmlich auf die elegante Verteidigung, was George zunehmend reizte und zu einigen aggressiven Attacken verleitete. John sah, wie George wütend wurde. Plötzlich traf ihn Georges Blick, und John verstand, dass George siegen wollte, um anschließend gegen ihn antreten zu dürfen. Mit einer kraftvollen Bewegung stieß George zu und traf seinen Fechtlehrer zwischen die Rippen. George hielt inne, nahm Haltung an und verbeugte sich zur Entschuldigung kurz mit dem Kopf.
»Sie haben gewonnen, George«, lächelte Mr Hamilton. »Ich gratuliere.«
»Jetzt er!«, rief George und zeigte mit seiner Degenspitze auf John.
Der Fechtlehrer drückte diskret ein Taschentuch gegen die blutende Wunde und schritt langsam auf George zu.
»George, Sie sollten keinen Kampf mehr austragen. Emotionen sind kein guter Ratgeber.«
George wich einen Schritt zurück und schrie: »Ich will gegen ihn antreten. Das steht mir zu. Ich habe Sie besiegt.«
Der Fechtlehrer sah zu John. Dieser nickte mit ungerührter Miene.
»Ich stehe zur Verfügung, Sir.«
»George«, versuchte es Fechtlehrer Hamilton von neuem, »haben Sie denn gar nichts gelernt': Wollen Sie als heißblütiger, unbeherrschter Haudegen in die Geschichte des Internats eingehen?« Er berührte George sanft mit der Hand an der Schulter. George schlug sie wutentbrannt weg.
Da verlor Hamilton die Geduld. Mit einer entschlossenen Bewegung riss er George den Degen aus der Hand und warf ihn weg: »Ich untersage Ihnen jeglichen Waffengang auf dem Grund und Boden von Eaglesham. Sie haben das Geschick und die Kraft, diese Waffe zu führen, aber nicht den Verstand!«
Für einen Moment sah es aus, als wollte George mit bloßen Händen auf den Fechtlehrer oder auf John oder auf alle beide losgehen. Doch dann besann er sich. Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte vom Fechtplatz.
Reverend Michael Rob war ein begnadeter Prediger. Hoch oben auf der Kanzel kam er so richtig in Fahrt. Er schleuderte seine Blitze gegen alles und jeden. John Law hasste diese Sonntage, dieses Ausharren in der Internatskapelle. Aber es war der letzte Sonntag in Eaglesham. Der Reverend nahm Abschied von seinen Schülern. Er sagte, dass sie alle Menschen seien und dass Menschen nun einmal Fehler begingen. Sich versündigten. Auch er sei nur ein Mensch, ein Diener Gottes, der hie und da Fehler begehe. Für einen Augenblick sah er von der Kanzel hinunter zu John Law. Und als John Law seinen Blick erwiderte, schien der Mann Gottes den Faden zu verlieren. Er räusperte sich und geißelte nun die Verlockungen des Fleisches lauthals, als bereue er innigst, vor Gott versagt zu haben. Er schrie voller Wut, als wolle er Gott anklagen, derartige Verlockungen überhaupt erschaffen zu haben. George rempelte Robert mit dem Ellbogen an und zeigte mit einer Kopfbewegung nach hinten. Ein paar Reihen weiter standen die beiden rothaarigen Schwestern mit gesenktem Kopf und zum Gebet gefalteten Händen. Nur wenn sie den Kopf hoben, um nach vorn zu blicken, erahnte man die Schönheit ihrer Busen, die mit einem sehr breiten Tuch bedeckt waren.
»Ich halte das nicht mehr aus«, stöhnte George, »so stelle ich mir die Hölle vor.«
George fasste sich unwillkürlich in den Schritt. Robert rempelte ihn an. »Sieh dich vor, George. Hände weg von meinen Schwestern!«
»Ach ja? Würdest du das auch zu John sagen?«, zischte George. »John Law? Ist das wahr?« Robert wurde rot vor Wut. George schwieg. Robert wusste, dass es wahr war.
Dunkle, schwere Wolken zogen über Eaglesham hinweg, als die Zöglinge die Kapelle verließen, während ein Psalm die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes am Menschen verkündete. Robert und George gingen zum Haus der Woodrows. Robert hatte noch im Pferdestall zu tun. Und während er die Boxen ausmistete, sprach George unaufhörlich davon, was John Law heimlich mit den beiden Schwestern anstellte. Nacht für Nacht.
Schließlich verlor Robert die Beherrschung und stach die Heugabel mit derartiger Wucht in die Boxenwand, dass die Gabel zerbrach. Ein Lächeln huschte über Georges Gesicht. Er warf Robert eine neue Heugabel zu. Dann verließ er den Pferdestall.
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