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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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versuchte Defoe, den Geschossen auszuweichen. Dabei überdehnte und zerrte er die Nackenmuskulatur. Die Haltung mit den gestreckten Armen und dem gebeugten Genick verursachte nun höllische Schmerzen, Defoe brüllte um Hilfe. Niemand hatte Mitleid. In London kannte man kein Mitleid, weil auch das Schicksal mit London kein Erbarmen kannte. Die Londoner hatten Pest, Feuersbrünste und Kriege erlitten. Hatte sich Gott deswegen jemals ihrer erbarmt?
    Am hinteren Ende des Platzes entstand ein neuer Tumult. Eine Gruppe von Leuten versuchte sich mit Gewalt zum Pranger durchzuschlagen. Es waren junge Hafenarbeiter, die Daniel Defoe verpflichtet hatte, für den Fall, dass die Krone seinem Gnadengesuch nicht entsprechen würde, zu seinem Schutz herbeizueilen. Die Burschen schwangen Holzknüppel. Drohend stellten sie sich nun um das hölzerne Podest und blickten wild entschlossen um sich. Die Schaulustigen begriffen, dass der Spaß vorüber war, und verzogen sich. Jetzt kamen streunende Hunde. Sie scheuten keine Fußtritte, um einen Platz unter dem Podest zu erobern. Dort gab es Schatten und mehr Abfälle als bei einem fürstlichen Bankett.
    »Wie lange muss er dort stehen?«, fragte John Law.
    »Bis zum Abend. Wollen Sie mich noch so lange warten lassen?«, scherzte Mary Astell, während ein älterer Herr in modischem Franzosenanzug auf das Podest stieg und mit viel Pathos eins von Defoes Pamphleten verlas: »Sei mir gegrüßt, du Ungeheuer, das mich hier bestraft und mich sinken lassen will in tiefste Armut. Halte ein, du Ungeheuer, damit ich nicht gezwungen werde, zu stehlen, meinen eigenen Nachbarn zu berauben oder ihn gar zu töten und aufzufresser ...«
    »Wo finde ich Beau Wilson?«, fragte John Law.
    »Im >Green Dog<. Dort finden täglich Auktionen statt. Letzte Woche wurde das Bett einer französischen Königin versteigert. Aber Beau Wilson hat mich überboten. Er liebt, was andere begehren.«
    »Sie wollten wirklich ein Bett kaufen?«
    »Wieso? Sie wollen mir doch nicht etwa ein zweideutiges Angebot machen?«
    Thomas Neale, der Münzmeister des Königs, war so ziemlich allem verfallen, was die Großstadt einem labilen Menschen an Verlockungen nur bot. Als er spürte, dass John Law für diesen seinen Lebenswandel nicht nur stillschweigendes Verständnis zeigte, sondern ihn geradezu zu bewundern schien, nahm er den jungen Mann aus Edinburgh gern unter seine Fittiche. Saß Thomas Neale also nicht gerade in seinem Amt, dem Tower von London, führte er John Law durch die Edelbordelle der Stadt, in denen man sich für wenig Geld die Syphilis holen konnte. Thomas Neale zeigte ihm jeden Londoner Spielsalon, jede Kneipe, in der Finanziers, Händler und Geschäftsleute verkehrten, und stellte John Law jeder Person vor, die in London irgendeine Bedeutung hatte.
    In London gab es über zweitausend Kaffeehäuser, und jede Berufsgruppe hatte ihre Präferenzen. Die gelehrten Mitglieder der Royal Society trafen sich im »Grecian« im Devereaux Court, Anwälte besuchten das »Nandos« in der Fleet Street. Den notorischen Spielern und Hasardeuren begegnete man im »White«, die Beaus gingen ins »Man's« an der Themse. Und stets wusste man, wann wer und wo erreichbar war. Vielen diente das Kaffeehaus als temporäres Arbeitszimmer. In einem Kaffeehaus gab es alle Zeitungen, Gazetten und Flugblätter der Stadt zu lesen. Wollte man also irgendetwas publik machen, druckte man ein Flugblatt und verteilte es mit der neuen »Pennypost« an alle Kaffeehäuser der Stadt. Für einen Penny, den man der Dame de Comptoir gab, konnte man hier so viel Kaffee trinken, wie man wollte, und dazu noch eine der langen Tonpfeifen schmauchen.
    Eines Abends führte Thomas Neale John Law ins »Green Dog«. Das Kaffeehaus wurde von vielen Neureichen besucht, die darauf angewiesen waren, ihre neu erworbenen Häuser in Windeseile mit standesgemäßem Mobiliar auszurüsten. Es war schon spät in der Nacht, um nicht zu sagen früh am Morgen, und so traf man hier all die Beaus und stadtbekannten Wüstlinge, die ihre mühevolle Arbeit an diesem Tag bereits verrichtet hatten und nun zur Ausnüchterung ein paar Tassen starken Kaffees brauchten. Dabei lasen sie die Auktionslisten der nächsten Tage.
    Thomas Neale bestellte einen Kaffee nach dem anderen. Wer Kaffee trank, demonstrierte, dass er kein Mann von gestern war. Für die Alten war Kaffee stinkendes Pfützenwasser, das Männer impotent machte. Für den Mann von Welt genoss Kaffee wie Tee, Schokolade und Tabak die

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