Das Große Spiel
Galeeren, Dreimaster aus den Niederlanden, hunderte von kleineren Booten und Fähren. Und immer wieder Packer, die Schiffsladungen löschten: Tee und Pfeffer aus dem fernen Asien, Rum, Kaffee, Zucker und Kakao aus der Karibik. Fast alles, was England erreichte, wurde hier umgeladen.
Der Kutscher hielt vor einer Lagerhalle an, die direkt unter der Brücke lag. Hier wurden Tabak, Mais und Reis aus Amerika gelöscht. »Verraten Sie mir noch Ihren Namen, Sir?«, fragte der Kutscher, als John Law sich vom Bock hinunterschwang.
»Der steht morgen in den Zeitungen«, rief ihm John Law zu und bahnte sich einen Weg zwischen den Tabakpackern. Er eilte zu den Ufertreppen und stieg hinunter zu den Landungsstellen, wo größere Schiffe vertäut waren. Schon von weitem sah er die Flagge des französischen Sonnenkönigs im Schein der zahlreichen Schiffslaternen leuchten. Das Schiff war prächtig mit Wimpeln geschmückt. Auf dem Steg warteten zwei Männer. Der eine war sein Londoner Bankier Shrewsbury, der andere der Kapitän des Schiffes. Völlig außer Atem lief John auf sie zu.
Shrewsbury gab dem Kapitän ein Zeichen: »Das ist der Mann. Sie können den Anker lichten.« Während der Kapitän an Bord seines Schiffes stieg, ging Shrewsbury dem jungen Schotten entgegen. »Endlich! Wir haben schon geglaubt, Sie würden auch in dieser Nacht nicht mehr kommen.« John wollte etwas sagen, doch Shrewsbury gebot ihm mit der Hand zu schweigen. Aus einer Innentasche holte er einen Brief. Den reichte er John Law.
»Gehen Sie in Paris damit zu Maitre le Maignen. Sie finden ihn im Schloss St. Germain-en-Laye. Er wird Ihnen dafür zehntausend Pfund leihen. Besuchen Sie auch den Due de Saint Simon. Er weiß alles über Paris. Er kennt den Hof. Er hatte sogar schon einmal die Ehre, beim Petit Lever des Königs Seiner Majestät den Nachttopf leeren zu dürfen.«
John Law steckte den Brief ein und drückte Shrewsbury dankbar die Hand. Wortlos ging er an Bord. Der Kapitän, ein französischer Seewolf, dem die einsamen Jahre auf hoher See offenbar die Sprache verschlagen hatten, löste die Greifzangen des Landungssteges. John Law betrat das Deck. Polternd wurde der Holzsteg an Land gezogen. Der Kapitän schrie einige kurze Befehle. Matrosen lösten die Taue. Dann lief das Schiff aus. Lautlos glitt es über die Themse, jenen Fluss, den manche Menschen den dunkelsten Ort der Welt nannten.
John Law nahm auf einer Holzbank auf dem Vorderdeck Platz und schaute auf das London zurück, das ihm so viel gegeben und noch mehr genommen hatte. Er dachte an Catherine. Er dachte daran, dass bei einer Vereinigung von England und Schottland sein Todesurteil auch in Schottland gelten würde.
Ein Matrose reichte ihm einen Becher mit heißem Kaffee. Ein aufgequollener Kadaver trieb im dunklen Wasser. Jetzt passierten sie die Totenhäuser. Die Stille war zurückgekehrt. Nur noch das Plätschern des Wassers, das vom Bug geteilt und aufgeworfen wurde.
Kapitel VII
Einige Tage später betrat Lord Branbury gut gelaunt den Frühstückssalon und setzte sich zu seiner Schwester Catherine. Er hielt die »London Gazette« vom 7. Januar 1695 in der Hand.
»Stellen Sie sich vor, Catherine, vergangene Woche soll dieser Schotte John Law aus King's Bench ausgebrochen sein. Man sagt, er sei in einer Kutsche auf der Flucht nach Schottland.«
Catherine schmunzelte: »Wenn das da steht, wird es wohl stimmen. Die Familien der Townsend, Ash und Windham werden platzen vor Wut.«
Lord Branbury sah in die Zeitung: »Die Verwandten des armen beklagenswerten Opfers haben immerhin erreicht, dass in der heutigen Ausgabe ein Steckbrief veröffentlicht wurde. Wei diesen Schotten ergreift, erhält vom Marschall von King's Bench fünfzig Pfund.«
»Nur fünfzig Pfund? John Law wäre sehr enttäuscht, wenn er das wüsste. Ich traue ihm zu, dass er nach London zurückkehrt und denjenigen zum Duell auffordert, der diese geringfügige Belohnung ausgesetzt hat. Fünfzig Pfund ist wirklich eine arge Beleidigung.«
Lord Branbury las seiner Schwester den Steckbrief vor: »Fünfzig Pfund für die Ergreifung des Schotten John Law, zuletzt Häftling in King's Bench wegen Mordes, sechsundzwanzig Jahre alt; etwa sechs Fuß groß, mit breiten Pockennarben im Gesicht, starker, hoher Nase, spricht laut und gedehnt...«
Lord Branbury legte vergnügt die »London Gazette« beiseite, während Catherine zufrieden an ihrem heißen Früchtetee nippte. »Es war mir gar nicht aufgefallen, dass er breite
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