Das Große Spiel
Pockennarben im Gesicht hat und laut und gedehnt spricht«, scherzte Lord Branbury.
Catherine blickte lächelnd auf: »Ich danke Ihnen, mein Bruder!«
»Ich hab's für England getan, für unseren König, für die Sanierung des Staatshaushaltes, für die Gunst der schottischen Bankiers, für die Vereinigung mit der schottischen Krone - und für Sie, meine innigst geliebte Schwester.«
Lord Branbury erhob sich und verließ mit einer leichten Verbeugung den Salon. Auf der Türschwelle wandte er sich um: »Wir haben ihm die Freiheit gegeben und ihn dadurch für immer verloren. Er wird England nie mehr betreten können.«
Catherine nickte, und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie dachte, dass der Tod manchmal einfacher zu ertragen sei als eine Trennung auf Lebzeiten. Ihr Bruder, der ihren Stimmungswandel bemerkt hatte, trat wieder zu ihr an den Tisch. Catherine schaute zu ihm hoch.Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Ich habe gehört, dass sich Sir George of St. Andrews in Paris der Entourage des geflüchteten Königs James angeschlossen hat. Ich habe überlegt, ob ich ihn besuchen soll. Noch ist er mein Ehemann.«
»Ich fürchte, was Sie von Ihrem Ehemann dort zu sehen und hören bekommen würden, wäre nicht sehr erfreulich. Es wird viel geredet, wenn die Abende lang sind.«
»Ich weiß, dass ich ihm nichts mehr bedeute.« Catherine zögerte. »Aber wenn John Law England nicht mehr betreten darf, werde ich eben England verlassen und nach Paris gehen.«
Lord Branbury atmete tief durch: »Ich habe so etwas befürchtet. Vielleicht wäre es in diesem Fall gescheiter, nach Holland oder Italien zu gehen. Aber noch besser wäre es, John Law zu vergessen. Paris ist ein schlechtes Pflaster für englische Protestanten. Nur englische Katholiken fliehen nach Paris. Wer nach Paris geht, gilt in London als Verräter oder als Spion. Folgen Sie Ihrem Verstand, Catherine, und meiden Sie Paris.«
»Mein Verstand macht mich nicht glücklich.«
»John Law wird Ihnen kein Glück bringen.Vielleicht einen Sommer lang. Aber kein Leben lang.«
Catherine lächelte: »Vielleicht wäre es das wert.«
»Das sagt man so, Catherine, aber es ist nicht wahr. Wenn der Sommer vorbei ist, kommt der Winter. Von Erinnerungen kann man nicht zehren. Von Erinnerungen wird man nicht satt. Von Erinnerungen wird man krank. Sie müssen John Law vergessen, so wie auch er Sie vergessen wird. Er ist ein Mann der Zahlen und Formeln. Er hat sich in den Kopf gesetzt, auf wundersame Art und Weise das vorhandene Geld zu vermehren, um Europa in neuem Glanz erblühen zu lassen. Er lebt für diese Ideen, Catherine, nicht für eine Frau. Ich kenne diese Sorte Menschen. Es sind Besessene. Sie leben in Welten, in die wir ihnen nicht folgen können. In diesen Welten gibt es nur Zahlen, Diagramme, Tabellen, Statistiken ... aber keine Menschen, Catherine. Und keine Liebe.«
»Was Sie sagen, klingt vernünftig. Sie mögen sogar Recht haben, aber manchmal ist ein Kuss mehr wert...«
»Er hat Sie geküsst?« Lord Branbury riss die Augen auf.
»Er hat noch viel mehr. Er hat mir den Wert der Liebe gezeigt.« Catherine lächelte still vor sich hin.
Ihr Bruder schüttelte unwirsch den Kopf. »Wie können Sie von Liebe sprechen? Welcher Mann liebt schon seine Frau, und welche Frau liebt schon ihren Mann? Seit wann hat Liebe einen Wert? Die körperliche Liebe, ja. Die Eroberung, die Befriedigung der Triebe, aber die reine Liebe hat keinen Wert. Sie ist kindisch und dumm. Die Liebe ruiniert den Verstand und ganze Vermögen.«
»Lord Branbury, John Law hat mich einmal gefragt, was den Wert einer Münze bestimmt.«
Lord Branbury missfiel die Diskussion zunehmend: »Das Metall, das in der Münze steckt. Das war schon immer so.«
Catherine lächelte und zeigte ihre perlenweißen Zähne, die für Londoner Verhältnisse eine Seltenheit waren: »Es wird aber nicht immer so sein, sagt John Law. Eines Tages wird eine Münze so viel wert sein, wie die Bank of England bestimmt. Und wieso soll es sich eines Tages nicht genauso verhalten mit unseren Gefühlen? Wieso soll eines Tages das Gefühl der Liebe nicht mehr wert sein als eine Mitgift, mehr wert sein als das gesamte Metall auf dieser Erde? Wieso sollten eines Tages zwei Menschen nicht nur aus Liebe heiraten?«
»Großer Gott«, entfuhr es Lord Branbury, und er lachte laut auf, »der Schotte hat Ihnen ja komplett den Verstand geraubt. Wenn Sie alle unsere Werte infrage stellen, werden Sie jeglichen Halt
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