Das Grosse Spiel
Wir brauchen dich, damit du uns hilfst, herauszufinden, wie du uns helfen kannst.«
»Was ist denn los?«
»Das ist Teil des Problems. Wir wissen es nicht.«
Valentine mußte einfach lachen. »Ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen! Sie hatten ihn die ganze Zeit über da oben bei sich!«
»Valentine, es kostet mehr Geld, als dein Vater in seinem ganzen Leben verdienen wird, wenn ich zur Erde und wieder zurück zur Kampfschule fliege. Ich pendle nicht ohne zwingenden Grund.«
»Der König hatte einen Traum«, sagte Valentine, »aber er vergaß, was es war, also befahl er seinen Weisen, den Traum zu deuten, oder sie würden sterben. Nur Daniel konnte ihn deuten, weil er ein Prophet war.«
»Du liest die Bibel?«
»Im Fortgeschrittenenkurs in Englisch nehmen wir dieses Jahr die Klassiker durch. Ich bin kein Prophet.«
»Ich wünschte, ich könnte dir alles über Enders Situation erzählen. Aber es würde Stunden dauern, vielleicht Tage, und hinterher müßte ich dich in Schutzhaft nehmen, weil so viel davon streng vertraulich ist. Also laß uns sehen, was wir mit unseren beschränkten Informationen machen können. Es gibt da ein Spiel, das unsere Schüler mit dem Computer spielen.«
Und er berichtete ihr über das Ende der Welt und den geschlossenen Raum und das Bild Peters im Spiegel.
»Es ist der Computer, der das Bild dorthinsetzt, nicht Ender. Warum fragen Sie nicht den Computer?«
»Der Computer weiß es nicht.«
»Und ich soll es wissen?«
»Dies ist das zweite Mal, seit Ender bei uns ist, daß er dieses Spiel in eine Sackgasse geführt hat. Zu einem Spiel, das keine Lösung zu haben scheint.«
»Hat er das erste gelöst?«
»Am Ende ja.«
»Dann lassen Sie ihm Zeit, vermutlich wird er auch dieses lösen.«
»Ich bin mir nicht sicher. Valentine, dein Bruder ist ein sehr unglücklicher kleiner Junge.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht.«
»Sie wissen nicht viel, oder?«
Einen Augenblick dachte Valentine, der Mann würde vielleicht wütend werden. Statt dessen aber entschied er sich dafür, zu lachen. »Nein, nicht viel. Valentine, warum sollte Ender dauernd euren Bruder Peter im Spiegel sehen?«
»Er sollte es nicht. Es ist dumm.«
»Warum ist es dumm?«
»Weil es nur einen gibt, der das genaue Gegenteil von Ender ist: Peter.«
»Wieso?«
Valentine fiel keine Antwort ein, die nicht gefährlich war. Eine zu ausführliche Befragung hinsichtlich Peters konnte zu echten Schwierigkeiten führen. Valentine wußte genug von der Welt, um zu wissen, daß niemand Peters Weltherrschaftspläne ernstnehmen würde, als eine Gefahr für bestehende Regierungen. Aber sie mochten durchaus zu dem Schluß kommen, daß er geisteskrank war und eine Behandlung gegen seinen Größenwahn brauchte.
»Du hast vor, mich anzulügen«, sagte Graff.
»Ich habe vor, überhaupt nicht mehr mit Ihnen zu sprechen«, antwortete Valentine.
»Und du hast Angst. Warum hast du Angst?«
»Ich mag Fragen über meine Familie nicht. Lassen Sie bloß meine Familie aus dem hier heraus.«
»Valentine, ich versuche ja, deine Familie aus dem hier herauszuhalten. Ich komme zu dir, damit ich nicht mit einer Testreihe an Peter beginnen und deine Eltern ausfragen muß. Ich versuche, dieses Problem jetzt zu lösen, gemeinsam mit der Person, die Ender am meisten auf der Welt liebt und der er am meisten auf der Welt vertraut, vielleicht der einzigen Person überhaupt, die er liebt und der er vertraut. Wenn wir es nicht auf diese Weise lösen können, dann werden wir deine Familie absondern und von da an tun, was uns beliebt. Dies ist keine triviale Angelegenheit, und ich werde nicht einfach weggehen.«
Die einzige Person überhaupt, die Ender liebt und der er vertraut. Sie verspürte einen tiefen Stich des Schmerzes, des Bedauerns, der Scham, daß es jetzt Peter war, dem sie nahe war, der den Mittelpunkt ihres Lebens bildete. Für dich, Ender, entzünde ich Feuer an deinem Geburtstag. Peter aber helfe ich, all seine Träume zu erfüllen.
»Ich habe Sie nie für einen netten Mann gehalten. Nicht, als sie kamen, um Ender mitzunehmen, und jetzt auch nicht.«
»Tu nicht so, als wärst du ein unwissendes kleines Mädchen. Ich habe deine Tests gesehen, als du klein warst, und im gegenwärtigen Augenblick gibt es nicht viele Collegeprofessoren, die mit dir mithalten könnten.«
»Ender und Peter hassen einander.«
»Das wußte ich. Du sagtest, sie seien Gegensätze. Wieso?«
»Peter ... kann manchmal abscheulich sein.«
»Abscheulich
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