Das große Yogabuch
sehr aktuellen Vorschlag Patañjalis interpretieren, wie wir mit dem Überfluss der Natur und der Gesellschaft umgehen sollten, nämlich nur so viel davon besitzen zu wollen, wie wir wirklich brauchen. Da Besitz bekanntlich belastet, hat derjenige, der sich mit wenig begnügt, auch weniger Sorgen und dafür mehr Zeit, sich den Dingen im Leben zu widmen, die wirklich wichtig sind.
2 Vom Umgang mit sich selbst – Niyama
Niyama, die zweite Stufe, beinhaltet Vorschläge, die uns selbst betreffen:
• Shauca: Reinheit. Gemeint ist, dass wir darauf achten, unseren Körper, unseren Geist und unsere Umgebung nicht zu verunreinigen. Shauca meint auch, die übertriebene Sorge um die Vergänglichkeit unseres Körpers aufzugeben und uns der Entwicklung unserer inneren Schönheit zu widmen.
• Santosha: Zufriedenheit mit dem, was wir haben, und Wertschätzung unseres Lebens in allen Aspekten anstelle eines ständigen Verlangens nach dem, was wir noch nicht haben und was wir noch nicht sind. Sich selbst annehmen und sich okay finden. »Tiefe Zufriedenheit lässt uns grenzenloses Glück erfahren«, stellt Patañjali fest (Sutra 2.42), denn sie erlaubt uns, zur Ruhe zu kommen und nicht ständig auf der Suche nach Glück und Erfüllung durch das Leben zu hetzen.
• Tapas: Stetiges Bemühen. Gemeint ist dieses innere Feuer, das uns antreibt, anstrengende und teilweise unangenehme Erfahrungen im Prozess der Selbstfindung und Selbstentfaltung zuzulassen, und das uns Ausdauer und Durchhaltevermögen gibt. Tapas meint auch Disziplin, ohne die wir auf keinem Weg vorankommen können.
• Svadhyaya: Selbstreflexion. Wir sollten uns immer wieder bewusst machen, wo wir gerade stehen in unserem Leben, was uns bewegt, was unseren Geist beschäftigt und so weiter. Es geht dabei weniger um eine ständige »Nabelschau«, sondern vielmehr darum, ständige Achtsamkeit für unser Verhalten zu entwickeln und bewusst unseren eigenen inneren Prozess zu begleiten. Svadhyaya meint auch, dass wir uns unterstützen sollen, indem wir geeignete Literatur lesen. Zur Zeit Patañjalis waren das die Vedas und Upanishaden, heute sind es Bücher und Ratgeber, die Themen der Psychologie, Philosophie oder Religion behandeln.
• Ishvara Pranidhana bedeutet die Entwicklung von Vertrauen auf eine höhere Kraft, die uns führt, und Hingabe an das Göttliche. »Durch die Verehrung Gottes wächst die Fähigkeit in uns, jedes gewählte Objekt in seiner Vollkommenheit zu erkennen« (Sutra 2.45). Gott wird als Lehrer verstanden, als Vorbild, denn er macht keine Fehler. Gemeint ist außerdem, darauf zu vertrauen, dass der Übungsweg des Yoga funktioniert.
Die Yamas und Niyamas sind eigentlich als Einstieg in jedwede Yogapraxis gedacht.
Tatsächlich beginnen aber die meisten Menschen ihren Yogaweg mit den Körperübungen des Hatha-Yoga. Die beiden ersten Stufen des Yogaweges geben uns jedoch wertvolle Denkanstöße für ein bewussteres und zufriedeneres Leben.
3 Körperhaltungen – Asanas
Asanas sind die dritte Stufe des Übungsweges. Wir kennen heute eine Vielzahl von Yogahaltungen. Iyengars berühmtes Kompendium »Licht auf Yoga« zeigt alleine 200 Haltungen plus Varianten. Patañjali hingegen spricht nur von einer einzigen Haltung, nämlich dem aufrechten Sitz auf dem Boden, dem Lotossitz. Der klassische Yoga kannte wahrscheinlich nur dieses eine Asana, denn die Vielzahl der Haltungen wurde erst Jahrhunderte später im Hatha-Yoga entwickelt. Patañjali beschreibt den Sitz so, dass daraus die »Qualitätsmerkmale« für alle anderen Asanas abgeleitet werden können.
Wesentliches Merkmal eines Asana ist das Verweilen in Stabilität und Leichtigkeit (Sthirasukha). Das bedeutet, dass wir in jeder Yogahaltung versuchen, unseren Körper ganz still verweilen zu lassen, und das mit Leichtigkeit. Die Regungslosigkeit in der Haltung soll dem Geist helfen, ebenfalls still zu werden. Sie dient der Sammlung und Zentrierung unseres ganzen Wesens und ist das Gegenteil von dem, was wir sonst den ganzen Tag über machen: unaufhörlich geistig in Bewegung sein.
Dieses Stillhalten aber soll kein Krampf und kein Zwang sein, sondern in Leichtigkeit oder, noch schöner ausgedrückt, »in einem glücklichen Raum« geschehen. Nur so kann unser Körper Gefallen an den Haltungen finden und sich entfalten. Nur in einem unverkrampften Körper vermag die Energie frei zu zirkulieren. Damit Leichtigkeit entstehen kann, müssen wir lernen, das Üben genau zu dosieren – also nicht zu
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