Das große Yogabuch
Weise die vielfältigen Erscheinungsformen der menschlichen Natur sowie die Stärken und Schwächen der menschlichen Psyche. Dadurch ist es wohl auch zu erklären, dass der »Körperyoga« so viele Jahrhunderte lang überleben konnte und auch heute noch die Menschen in aller Welt fasziniert.
Jeder Mensch, der mit dem Üben beginnt, kann die in den Grundlagentexten beschriebenen Erfahrungen »am eigenen Leibe spüren« und nachvollziehen. Jeder, der sich auf diesen Weg einlässt, wird feststellen, dass das Üben ihn im Laufe der Jahre in seiner Gesamtheit verändert und transformiert.
Die dunkle Zeit
Der Hatha-Yoga stand im Mittelalter allen Menschen in Indien als Übungsweg zur Verfügung, egal welcher Religion oder Kaste sie angehörten. Im Gegensatz zum klassischen Yoga war auch Frauen das Üben erlaubt.
Ab 1500 n. Chr. verlor der Hatha-Yoga jedoch an Popularität, da sich die ursprünglichen, strengen religiösen Strömungen wieder durchsetzten. Das führte zum Beispiel dazu, dass Frauen erneut ausgeschlossen wurden und dass wie vorher das Üben des Yoga an eine bestimmte Kastenzugehörigkeit geknüpft wurde.
Wegen seiner teilweise absonderlich anmutenden Techniken (wie Körperhaltungen oder Reinigungsübungen) kam der Hatha-Yoga sogar zunehmend in Verruf. Nur noch wenige authentische Traditionslinien existierten weiter und bewahrten das alte Wissen bis in unser Jahrhundert. Den Wissenschaftlern, die sich mit indischer Geistesgeschichte beschäftigen, ist über den Zeitraum von 1600 bis 1900, in dem der Yoga gewissermaßen in der Versenkung verschwand, wenig bekannt.
Neubelebung alten Wissens
Erst im 20. Jahrhundert erfuhr der Yoga eine ungeahnte Wiederbelebung, denn nach der langen Zeit der Kolonialisierung durch den Islam und durch die Engländer begannen die Inder, sich wieder auf ihre eigene Kultur zu besinnen. Nicht zuletzt trug das große Interesse europäischer Indologen und Religionswissenschaftler dazu bei, dass wichtige Grundlagentexte des Yoga aus dem jahrhundertelangen Dämmerschlaf in verstaubten Bibliotheken geholt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die alten Techniken wurden überprüft und den Bedürfnissen der modernen Menschen angepasst. Man begann mit ersten wissenschaftlichen Forschungen zu den Wirkungen des Yoga. Und es entstand ein Bedürfnis, die Botschaft des Yoga mit den Menschen anderer Kulturen zu teilen, um auch ihnen die Möglichkeit zu geben, gesünder, klarer und verantwortlicher zu werden.
»Unter Yoga versteht der Inder das Streben, vermittels systematischer Schulung des Körpers und Geistes auf dem Weg innerer Sammlung durch unmittelbares Schauen und Erleben die erlösende Erkenntnis oder die Erlösung selbst zu erlangen. Er ist also keine Lehre, sondern eine Methode, und kann als solche mit den verschiedensten Lehren in Verbindung treten.«
Erich Frauwallner (Indologe)
Der Yoga kommt in den Westen
Das einschneidende Ereignis in dieser Hinsicht war der Auftritt von Swami Vivekananda beim »Weltparlament der Religionen«, das 1893 in Chicago stattfand. Als »Botschafter« des Hinduismus begeisterte Vivekananda in einer Rede sein Publikum für die Geisteswelt Indiens, was dazu führte, dass er im Anschluß eine Tournee durch die USA unternahm und mit seinen Ausführungen die Neugier und den Forscherdrang der Amerikaner weckte.
In Europa tauchten der körperbetonte Hatha-Yoga und der klassische Yoga Patañjalis um 1930 auf. Während sich zu dieser Zeit eher einzelne Sucher mit den Grundlagentexten und den Übungen beschäftigten, wurde der Yoga ab den 1960er Jahren zu einer äußerst populären Methode, was sich in einer Vielzahl von Publikationen und Sendereihen in Radio und Fernsehen niederschlug. Dabei wandelte sich allerdings der Akzent von einem spirituellen zu einem gesundheits- und fitnessorientierten Übungsweg. Yoga wurde nun geübt, damit man (zumeist allerdings frau) gesund, schlank, leistungsfähig, konzentriert und entspannt den Alltag bewältigen konnte.
Der moderne Yoga heute
Erst in den späten 1990er Jahren setzte sich im Yoga wieder mehr der Aspekt der Selbstfindung, der Selbstverwirklichung und der Spiritualität durch. Gleichzeitig wurden die Körperübungen immer weiter verfeinert, um verschiedenen therapeutischen Ansprüchen zu genügen. Der Yoga wurde dabei einerseits wieder authentischer und puristischer, andererseits verband man seine Grundgedanken mit einer Vielzahl anderer, neuerer Körpertechniken wie Stretching,
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