Das große Zeitabenteuer
Kästen; an einer Wand waren große Holzkisten mit unverständlicher Beschriftung aufgestapelt. Nicodaeus stand vor einem langen Arbeitstisch, auf dem sich Werkzeuge, Metallproben, Gläser und Plastikteile häuften. In Augenhöhe vor ihm hing ein großer Metallkasten mit schwarzer Hammerschlaglackierung; an der Vorderseite des Kastens waren fünf oder sechs Meßinstrumente zu sehen, deren Nadeln zitternd ausschlugen. Die Doppeltür in einer Wand war teilweise hinter schweren Samtvorhängen verborgen; von der hohen Decke hing ein vergoldetes menschliches Skelett an einem Draht herab.
O'Leary betrat das Labor, schloß die Tür hinter sich und schob leise den Riegel vor. Der Gestank war wirklich unerträglich. Lafayette erinnerte sich an das Mädchen in der Kneipe, das plötzlich nach Chanel gerochen hatte. Zum Beispiel frischgerösteter Kaffee; das wäre schon besser …
Lafayette spürte den kurzen Ruck, der den Erfolg seiner Bemühungen anzeigte, und roch wenig später frischen Kaffee. Nicodaeus schien nichts gemerkt zu haben; er richtete sich auf, ging an das Steuerpult und drückte auf einen Knopf. Ein kleiner Bildschirm leuchtete grünlich auf. Der Hofzauberer machte einige Notizen… schrieb nicht weiter… sog prüfend die Luft ein… drehte sich überrascht um…
»Lafayette! Wie haben Sie … woher … was?«
»Eine Frage nach der anderen, Nicodaeus! Es war gar nicht leicht, hierher zu kommen; die ganze Stadt ist anscheinend verrückt geworden. Haben Sie zufällig etwas Eßbares hier? Ich habe den ganzen Tag im Park unter einigen Büschen versteckt zugbracht.«
»Lafayette! Sie bereuen es endlich, mein Junge! Sie sind zu mir gekommen, um sich alles von der Seele zu reden und mir zu sagen, wo sie versteckt ist! Ich gehe sofort zum König und…«
»Langsam!« O'Leary nahm auf einem wackligen Hocker Platz. »Ich bereue überhaupt nichts, Nicodaeus! Ich sage Ihnen, jemand ist in mein Zimmer gekommen und hat mir weisgemacht, Adoranne sei in Gefahr. Der Kerl hat mich durch einen Geheimgang in ihr Zimmer geführt, mir an der Tür den Beutel mit Juwelen in die Hand gedrückt und mich dann vorwärts gestoßen – und dann kam auch schon die Heulboje herein.«
»Richtig, mein Junge, und Sie haben jetzt beschlossen, sich dem König zu Füßen zu werfen und um Gnade zu bitten.«
»Sie meinen, ich soll mich dafür entschuldigen, daß er keine Gelegenheit hatte, mich zerstückeln zu lassen? Ha! Hören Sie, Nicodaeus, irgend etwas ist hier nicht ganz richtig. Ich muß mit Adoranne sprechen und ihr erklären, wie alles gekommen ist. Sie soll nicht glauben, ich hätte ihr die Kronjuwelen klauen oder…« Er sprach nicht weiter, als er den Gesichtsausdruck des anderen sah. »Was ist los?« Er sprang erschrocken auf. »Fehlt ihr etwas?«
»Soll das heißen, daß Sie wirklich nichts davon wissen?« Nicodaeus starrte ihn verblüfft an.
»Was soll ich wissen?« rief Lafayette. »Und wo ist Ado-ranne?«
Nicodaeus ließ die Schultern hängen. »Ich hatte gehofft, Sie würden diese Frage beantworten können, Lafayette. Die Prinzessin ist seit Tagesanbruch verschwunden. Und alle glauben, sie sei von Ihnen entführt worden, mein Junge.«
»Anscheinend sind alle übergeschnappt«, sagte O'Leary und biß ein Stück Knäckebrot mit Sardinen ab – mehr hatte Nicodaeus leider nicht zu bieten. »Ich war eingesperrt. Wie hätte ich Sie entführen können? Und warum?«
»Aber Sie sind entkommen. Und was den Grund betrifft …« Nicodaeus machte ein weises Gesicht. »Braucht man da noch zu fragen?«
»Ja, man braucht zu fragen! Ich gehöre nicht zu den Leuten, die nachts Mädchen entführen …«
»Lafayette!« Nicodaeus rang die Hände. »Jedermann hält Sie für den Kidnapper! Wenn Sie es nicht gewesen sind, wer…«
»Ich habe keine Ahnung! Sie sind doch eine Art Zauberer – können Sie das nicht herausbekommen?«
»Aha, plötzlich trauen Sie mir doch einiges zu«, stellte Nicodaeus ironisch fest. Er betrachtete Lafayette nachdenklich. »Mir ist übrigens heute morgen um sechs Uhr fünfzehn ein erhöhter Verbrauch von Beta-Energie aufgefallen. Etwa zehn Minuten später – also gegen sechs Uhr fünfundzwanzig – kam es zur ersten kleineren Störung, der tagsüber noch mehrere gefolgt sind.«
»Was messen Sie da eigentlich? Ist das eine Art Seismograph?«
Nicodaeus studierte Lafayettes Gesichtsausdruck. »Hören Sie, mein Junge, wollen Sie sich nicht endlich bei mir aussprechen? Ich muß ehrlich zugeben, daß ich nicht
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