Das gruene Gewissen
sie fühlen. Mehr Wissen, mehr Einbindung, mehr Informations- und Entscheidungsangebote führen nicht automatisch zu mehr Akzeptanz. Im Gegenteil werden zusätzliche Informationsangebote von Kritikern eher zur Vertiefung bestehender Standpunkte genutzt, als dass sie einen Meinungswandel bei ihnen beförderten. Und doch gibt es keine Alternative zur stärkeren Einbindung, aber vielleicht zur bisherigen Auffassung von Verantwortung und Mündigkeit.
Die letzte grüne Wende
Die erhöhte Wachsamkeit gegenüber Risiken, von manchem als Hang zu Alarmismus und Schwarzmalerei bezeichnet, hat die Deutschen sensibel gegenüber potenziellen Gefahren und Wandlungsprozessen gemacht. Nicht zuletzt die technischen Standards haben dadurch eine besondere Reife erreicht, die man international nicht ungern als führend vermarktet. „German Angst“ und Anpassungsfähigkeit lagen in der jüngeren deutschen Geschichte dabei immer sehr nah beieinander. Die Furcht vor eigenen Fehlern oder das Enttäuschen der Erwartungen anderer richteten sich oft nach innen. Deutschland schafft sich ab: Weder in Großbritannien noch in Frankreich, den USA oder einem anderen Industrieland hätte ein vergleichbarer Titel zum meistverkauften Sachbuch der Nachkriegsgeschichte werden können. Es ist ein Buch, das neben anderen Aspekten vor allem die Angst vor Fremdbestimmung bedient – wie sie viele Deutsche auch in Bezug auf Großtechnik überkommt.
So ist es nur konsequent, dass mancher den Erhalt der Natur und den Schutz vor den Folgen der Technik nicht Demonstrationen und den Instrumenten der freien Meinungsbildung überlassen will. Begriffe wie „starker Staat“ oder „Ökodiktatur“ tauchten in den vergangen Jahren immer öfter im Kontext des Klimawandels auf – auch als Reminiszenz an den „Atomstaat“, von dem in den siebziger Jahren die Rede war. Eines der letzten und bereits andernorts zitierten Beispiele dafür entstammt dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), der in seinem Gutachten zur Vorbereitung der Rio+20-Konferenz eine Dekarbonisierung durch die Schaffung eines resoluten Ordnungsrahmens forderte. Der Rat adressierte dabei eine „Autonomiebeschränkung des Menschen“, um dem Klimaschutz notfalls mit Gesetzeskraft zum Durchbruch zu verhelfen. Auch sprachlich ist dies harte Kost:
„Die Einsetzung von Ombudsleuten mit Beschwerde- und Kontrollrechten sowie iterative entscheidungsnahe Deliberationsverfahren unter geeigneter Einbeziehung wissenschaftlichen Sachverstandes und der Laienexpertise komplettieren nach Ansicht des WBGU das prozedurale System klimaschutzrelevanter Entscheidungen durch die Verwaltung und den Gesetzgeber. Die Verwaltungen auf Bundes-, Landes- sowie kommunaler Ebene sollten ein klimapolitisches Mainstreaming durchlaufen.“ 51
Wer spricht so über Natur und Klima, und in wessen Namen? Es wäre am Ende eines positiv durch die Umweltbewegung beeinflussten Zeitalters eine Art Gegen-Aufklärung der Nachhaltigkeit, würden entsprechende Forderungen eines Tages Gestalt annehmen. Vor allem aber zeigen Worte wie diese an, dass längst eine fast technisch anmutende Rationalität in Bezug auf Bildausschnitte der großen Natur vorherrscht, die gepaart ist mit Kontrollbedürfnissen. Sie entstammt, so konnte der historische Exkurs in diesem Buch vielleicht schon zeigen, einer in Deutschland noch immer stark verankerten Denkhaltung, die von der Linearität der Geschichte und des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts überzeugt ist – und die auch die Natur als determinierbar ansieht.
Dass der Bevölkerung aus Gründen der Rohstoff- oder Energiebilanz nach Vorbild der chinesischen Einkind-Politik vorgeschrieben wird, wie viele Toaster sie im Gebrauch haben darf und wann es ein neues Auto gibt, erscheint absurd. Und doch ist unser Bild von Nachhaltigkeit und Natürlichkeit heute geprägt von einer gefährlichen Verengung des Naturbegriffs auf Carbon Footprints und andere Steuerungsinstrumente.
Das grüne Lebensgefühl ist zu einer Anklage des allgemeinen Wachstumsversprechens geworden, dem Menschen weltweit anhängen. Es hat damit zwangsläufig eine politische Komponente. Denn ein Grundzug der konservativen Technikkritik gerade in Deutschland bestand immer darin, dass eine möglichst billige Technik in Verbindung mit verfügbaren Ressourcen Standesunterschiede egalisiert, indem sie über Massenprodukte vielen Menschen ein Auskommen und damit gesellschaftliche Teilhabe
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