Das gruene Gewissen
verschafft. Beim Widerstand gegen die Technik ging es also auch um die Zementierung der Machtverhältnisse.
Wenn das Vertrauen in den materiellen Fortschritt mit Hinweis auf die Schädigung der Natur nun immer öfter als belastet und der technische Anpassungsdruck als schädliche Mitgift der modernen Welt erklärt wird, so ignoriert dies die legitimen Wohlstandsinteressen anderer.
Die Ethik des Genug, das „Age of Less“, können nur die ausrufen, die genug haben. Und zumindest in öffentlichen Verlautbarungen scheinen dies immer mehr Deutsche zu sein, die eine Mehrung des Wohlstands nicht mehr als primäres Lebensziel angeben, während sie im Alltag doch ungebremst auf Konsum setzen. Die Prosperität als Grundlage funktionierender Sozialsysteme in Zweifel zu ziehen bedeutet hingegen, Alternativen ohne Beweis ihrer Praxistauglichkeit zu proklamieren, was Bände spricht hinsichtlich des „Mangels an ökonomischem Gefahrenbewusstsein“, den die Meinungsforscherin Renate Köcher den Deutschen einmal attestierte. Er steht in krassem Gegensatz zur abstrakten Besorgnis gegenüber Großtechnologien. 52
Aus diesem Grund stoßen wir uns nicht an der Opulenz heutiger Bioläden und der gigantischen Verbrauchsmaschinerie, die hinter der digitalen Welt steckt, fühlen uns aber zugleich angezogen von postmaterialistischen Werten. 84 Prozent der Leser des Magazins Landlust besitzen nach eigenen Angaben einen Garten. 53 Was auch immer die Motivation des Verlages ist, diese Daten zu erheben: Man sollte sie nicht überbewerten. Und doch, gewissermaßen „vom Zaun her betrachtet“, ist dieses Bekenntnis eine zeitgemäße Metapher für die Abgrenzung nach außen. Der Naturdiskurs, das Homeing und Gardening , ist unfreiwillig auch ein Wachstumsdiskurs, und das nicht im botanischen Sinne.
Die Umweltbewegung führt die Debatten über die Natur heute nicht mehr an. Es herrscht ein breiter gesellschaftlicher Diskurs vor, der sich etwa aus Bildern speist, die er wie am Beispiel des Klimawandels von der Wissenschaft empfängt. Zugleich ist eine „naturnahe“ Esoterik zur Stütze eines zivilisationskritischen Lebensgefühls geworden. In diesen Kontext gehört auch jener Lifestyle, der das gute Gefühl der Natur käuflich macht und durch seine radikale Nachhaltigkeits- und Gesundheitsorientierung einer Natur-Nützlichkeit der ganz anderen Art das Wort redet: als Instrument einer eigenen Ordnung. „Transparenz“ ist heute in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen nicht zufällig eine Hauptforderung. Sie setzt auf den Glauben auf, die Dinge bei vollständiger Information selbst ohne Wissenskontext eigenständig zum Besseren gestalten zu können.
Das Bekenntnis zu grünen Technologien, das die Politik wie ein Mantra einfordert, kollidiert aus diesem Grund mit einer neoromantischen Bukolik und einem vermeintlich „naturnahen“ Lebensstil à la Landlust , der das Technische in Wahrheit ablehnt, weil er es als Störung des eigenen Idylls empfindet. Angst oder zumindest die Warnung vor den Gefahren des Technischen sind es, die dominieren.
Von der Mahnerin ist die Umweltbewegung damit unfreiwillig zur Wegbereiterin eines Wandels der Gesellschaft hin zur Illusionder Risikovermeidung und Unversehrtheit in allen Feldern des Lebens geworden, der etwas Biedermeierliches, ja Philiströses anhaftet. Denn das Gespräch über Natur lebt immer mehr vom Glauben an die Planbarkeit des Guten und der Unbedingtheit der eigenen Weltsicht.
Was um den Preis der Beschaulichkeit und vermeintlichen Sicherheit auf der Strecke bleibt, sind indes Eigenschaften wie Zuversicht, Gelassenheit und Großzügigkeit auch im Umgang mit unseren Schwächen. Sie bilden den Stoff der folgenden Reise hin zu Natur und Technik in Deutschland.
Schwarze Pumpe – oder: Unser Bild der Energie
Schnee, überall Schnee, der löchrig auf den Feldern liegt. Mehr als eine Stunde hatte der Eisregen auf das Wagendach getrommelt, so stark, dass ich das Radio ausmachte und das Lenkrad umklammerte. Ich starrte auf die Fahrbahn, sah die Ortsschilder mit den slawischen Namen und dachte an die Geschichten aus meinem Brandenburg-Buch: „Schwarze Pumpe“, das Vorgaukeln der Pest, um die Truppen Wallensteins am Dorf vorbeizulocken. Vor langer Zeit, im Dreißigjährigen Krieg, 1626.
Irgendwann lag es vor mir, das Lausitzer Braunkohlerevier, das Vaterland der sauren Gurken, wie Fontane die Gegend hinter Lübbenau bezeichnet hatte. Mehr als siebzigtausend Menschen waren hier zu DDR-Zeiten
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