Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Fushía. »Mir ist kalt, ich zittre am ganzen Körper.«
»Klar, Mensch, wie’s dir lieber ist«, sagte Aquilino. »Komm, erzähl mir jetzt, wie du ausgebrochen bist. Warum hatten sie dich eigentlich eingesperrt? Wie alt warst du damals?«
Er hatte die Schule besucht, und deswegen hatte ihn der Türke ein wenig in seinem Laden arbeiten lassen. Er führte ihm die Bücher, Aquilino, so Riesenbücher, die Soll und Haben heißen. Und wenn er auch damals noch ehrlich gewesen war, geträumt hatte er doch davon, reich zu werden. Sparen? Wovon denn, Alter? wo’s doch nur für eine Mahlzeit am Tag reichte, für Zigaretten nicht, für Schnaps nicht. Er wollte ein kleines Kapitälchen zum Geschäftemachen. Und so geht’s im Leben, der Türke setzte es sich in den Kopf, daß er ihn bestohlen hatte, pure Lüge, und ließ ihn einsperren. Niemand wollte glauben, daß er ehrlich war, und sie steckten ihn in eine Zelle mit zweiGaunern. War das nicht die größte Ungerechtigkeit, Alter?
»Aber das hast du mir ja schon erzählt, wie wir die Insel verlassen haben, Fushía«, sagte Aquilino. »Ich möchte, daß du mir erzählst, wie du ausgebrochen bist.«
»Mit diesem Nachschlüssel«, sagte Chango. »Iricuo hat ihn aus dem Pritschendraht gemacht. Wir haben ihn schon ausprobiert, die Tür geht auf, ohne daß man was hört. Willst du’s sehen, Japanerchen?«
Chango war der Älteste, wegen Rauschgift im Gefängnis, und Fushía behandelte er mit Zuneigung. Iricuo dagegen machte sich immer über ihn lustig. Ein Kerl, der viele Leute betrogen hatte, mit dem Erbschaftstrick, Alter. Der Plan stammte von ihm.
»Und hat’s dann auch so geklappt, Fushía?« sagte Aquilino.
»So klappt’s«, sagte Iricuo. »Versteht ihr denn nicht? An Neujahr hauen immer alle ab. Nur im Wachlokal ist einer, dem müssen wir die Schlüssel wegnehmen, bevor er sie übers Gitter wirft. Davon hängt alles ab, Jungens.«
»Nun schließ schon auf, Chango«, sagte Fushía: »Ich halt’s nicht mehr aus hier, Chango, mach doch auf!«
»Du solltest eigentlich hierbleiben, Japanerchen«, sagte Chango. »Ein Jahr ist schnell vorbei. Wir haben nichts zu verlieren, aber du bist ruiniert, wenn’s schiefgeht; dann kriegst du zwei Jahre mehr aufgebrummt.«
Aber er gab nicht nach und sie verließen die Zelle,und das Wachlokal war leer. Den Wachsoldaten fanden sie am Gitter, er schlief, in der Hand eine Flasche.
»Ich hab ihm mit dem Pritschenfuß auf den Kopf gehauen, und er ist zusammengesackt«, sagte Fushía, »Ich glaub, ich hab ihn umgebracht, Chango.«
»Hau ab, Idiot, ich hab die Schlüssel schon«, sagte Iricuo. »Wir müssen den Patio im Galopp überqueren. Hast du ihm die Pistole abgenommen?«
»Laß mich zuerst gehen«, sagte Chango. »Die vom Hauptgebäude sind bestimmt genauso besoffen wie der hier.«
»Aber sie waren nüchtern, Alter«, sagte Fushía. »Es waren zwei, haben gewürfelt. Wie die geglotzt haben, als wir hereingekommen sind!«
Iricuo richtete die Pistole auf sie: entweder sie öffneten das Tor oder es knallte, Saukerle. Und beim ersten Mucks hatten sie ein Loch im Bauch, Saukerle, und entweder sie beeilten sich oder er durchlöcherte sie, Saukerle, wie ein Sieb.
»Feßle sie, Japanerchen«, sagte Chango. »Mit ihren Gürteln. Und stopf ihnen die Krawatten ins Maul. Schnell, Japanerchen, schnell.«
»Sie passen nicht, Chango«, sagte Iricuo. »Der vom Tor ist nicht dabei. Jetzt sitzen wir in der Scheiße, bevor wir gepinkelt haben, Jungens.«
»Einer von denen muß es doch sein, probier weiter«, sagte Chango. »Was machst du denn da, Junge, warum bearbeitest du die mit den Füßen?«
»Und warum hast du sie mit den Füßen bearbeitet,Fushía?« sagte Aquilino. »Das verstehe ich nicht, in so einem Moment denkt man doch ans Ausreißen und sonst nichts.«
»Ich hatte eine fürchterliche Wut auf all diese Schweinehunde«, sagte Fushía. »Wie die uns behandelt haben, Alter. Weißt du, daß sie ins Krankenhaus mußten? In den Zeitungen hat gestanden: japanische Grausamkeit, Aquilino, orientalische Rachsucht. Ich hab lachen müssen, ich war noch nie aus Campo Grande hinausgekommen und war brasilianischer als jeder andre.«
»Jetzt bist du Peruaner, Fushía«, sagte Aquilino. »Wie ich dich in Moyobamba kennengelernt hab, da konnte man dich noch für einen Brasilianer halten, du hast ein bißchen komisch gesprochen. Aber jetzt redest du wie die Leute von hier.«
»Weder Brasilianer noch Peruaner«, sagte Fushía. »Ein armseliger
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