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Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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eine hat die Hand der andern gepackt und ihr die Finger abgeschleckt«, sagte Bonifacia, »und dann hat die andere dasselbe getan. Verstehst du jetzt, wie hungrig sie waren, Madre?«
    Natürlich waren sie das! Die armen Dinger hatten seit Chicais nichts mehr zu sich genommen, Bonifacia, aber die Oberin wußte schon, daß sie ihr leid taten. Und Bonifacia verstand sie kaum, Madre, denn sie sprachen seltsam. Hier würden sie jeden Tag essen können, und sie, wir wollen weg, hier würden sie glücklich sein, und sie, wir wollen weg, und sie fing an, ihnen die Geschichten vom Jesuskind zu erzählen, die den Heidenmädchen so gut gefielen, Madre.
    »Das verstehst du am besten«, sagte die Oberin. »Geschichten erzählen. Und was noch, Bonifacia?«
    Und sie hat Augen wie zwei Glühwürmchen, verschwindet, grün und verängstigt, zurück in den Schlafsaal, sie macht einen Schritt auf die Mündel zu, wer hat euch erlaubt rauszukommen? und die Tür schließt sich lautlos unter dem Druck der Pflanzen. Die Mündel beobachten sie stumm, zwei Dutzend Leuchtkäfer und eine einzige, sehr breite und formlose Silhouette, die Dunkelheit verbirgt Gesichter, Kittel.Bonifacia blickt hinüber zum Wohnhaus: nirgends ist ein Licht aufgeflammt. Wieder befiehlt sie ihnen, in den Schlafsaal zurückzugehen, aber sie bewegen sich nicht, antworten nicht.
    »War der Heide damals mein Vater, Mamita?« sagte Bonifacia.
    »Er war nicht dein Vater«, sagte Madre Angélica. »Du bist vielleicht in Urakusa geboren, aber du warst die Tochter eines andern, nicht von diesem Bösewicht.«
    Log sie sie nicht an, Mamita? Aber Madre Angélica log doch nie, Närrin, warum sollte sie sie denn anlügen? Damit sie nicht plötzlich Mitleid bekäme, Mamita? Damit sie sich nicht schämte vielleicht? Und glaubte sie nicht, daß ihr Vater auch ein Bösewicht gewesen war?
    »Aber warum denn?« sagte Madre Angélica. »Er kann ein gutes Herz gehabt haben, viele Heiden haben eines. Warum kümmert dich das überhaupt? Hast du jetzt nicht etwa einen viel größeren und viel besseren Vater?«
    Auch diesmal gehorchten sie ihr nicht, geht, zurück in den Schlafsaal, und die beiden Kleinen kauern zitternd zu ihren Füßen, klammern sich an die Tracht. Mit einemmal wendet sich Bonifacia halb um, rennt zur Tür, drückt dagegen, stößt sie auf, deutet hinaus in die Dunkelheit des Dschungels. Die beiden Mädchen sind an ihrer Seite, können sich aber nicht entschließen, die Schwelle zu überqueren, ihre Köpfedrehen sich immer wieder von Bonifacia zu der düsteren Öffnung, und jetzt kommen die Glühwürmchen näher, ihre dunklen Schatten zeichnen sich vor Bonifacia ab, sie haben angefangen, ihr zuzumurmeln, einige berühren sie.
    »Eine hat die andere abgesucht, Madre«, sagte Bonifacia, »und sie haben sie herausgepickt und mit den Zähnen getötet. Nicht aus Schlechtigkeit, sondern im Spiel, Madre, und bevor sie draufbissen, haben sie sie einander gezeigt und gesagt, schau, was ich bei dir gefangen habe. Im Spiel, Madre, und auch aus Zuneigung.«
    »Wenn sie schon Vertrauen zu dir gehabt haben, hättest du sie davon abhalten können«, sagte die Oberin. »Ihnen sagen, sie sollten nicht so ekelhafte Dinge tun.«
    Aber sie dachte doch nur an den nächsten Tag, Madre: wollte, morgen käme nie, daß Madre Griselda ihnen nicht die Haare abschnitte, sie darf sie ihnen nicht abschneiden, darf ihnen nicht das Desinfektionsmittel auf den Kopf tun, und die Oberin, was für Dummheiten waren das nun wieder?
    »Du siehst ja nicht, wie schlimm das für sie ist, ich muß sie festhalten und seh es«, sagte Bonifacia. »Und auch wenn sie gebadet werden und Seife in die Augen kriegen.«
    Tat es ihr etwa leid, daß Madre Griselda sie von dem Ungeziefer befreien würde, das ihnen den Kopf zerfraß? Dieses Ungeziefer, das sie hinunterschluckenund das sie krank macht und ihnen den Magen auftreibt? Vielleicht, weil sie heute noch von der Schere Madre Griseldas träumte. Weil es ihr so sehr weh getan hatte, Madre, das war wohl der Grund.
    »Sei doch vernünftig, Bonifacia«, sagte die Oberin. »Du hättest lieber Mitleid fühlen sollen, wie du diese Geschöpfe in zwei kleine Tiere verwandelt gesehen hast, als sie sich wie die Affen benommen haben.«
    »Du wirst noch ärgerlicher werden, Madre«, sagte Bonifacia. »Du wirst mich hassen.«
    Was wollten sie denn? warum hörten sie nicht auf sie? und einige Sekunden darauf, lauter, auch weggehen? wieder Heidinnen werden? und die Mündel haben die beiden

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