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Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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pflichteten ihnen mit gesenktem Kopf bei: durchaus, sie hatten recht, das Grüne Haus war ein Affront für Piura, aber – was tun? Die in jener verkommenen Hauptstadt, in jenem Lima diktierten Gesetze beschützten Don Anselmo, die Existenz des Grünen Hauses verstieß weder gegen die Verfassung noch gegen das Bürgerliche Gesetzbuch. Die Damen entzogen den Beamten ihren Gruß, verweigerten ihnen den Zutritt zu ihren Salons. Unterdessen eilten die Halbwüchsigen, die Männer, ja sogar die friedlichen Tattergreise in Rudeln zu der lärmenden und strahlenden Stätte.
    Die solidesten Piuraner kamen zu Fall, die arbeitsamsten und korrektesten. In der einst so stillen Stadt machten sich gleich Alpträumen Lärm und nächtliches Treiben breit. Bei Tagesanbruch, wenn die Arpa und die Gitarren des Grünen Hauses endlich verstummten, stieg ein undisziplinierter und vielfältiger Rhythmus von der Stadt zum Himmel auf: die Heimkehrer, allein oder in Gruppen, zogen mit lautem Gelächterund singend durch die Straßen. Die Männer wiesen stolz ihre übernächtigten, von Sand gegeißelten Gesichter vor, und in der ›Estrella del Norte‹ erzählten sie die ausgefallensten Geschichten, die von Mund zu Mund gingen, bis auch die Jugendlichen sie einander berichteten.
    »Seht ihr, seht ihr!« rief Padre García mit bebender Stimme.
    »Fehlt nur noch, daß es Feuer auf Piura regnet, alles Böse dieser Welt sucht uns heim.«
    Und es ist wahr, daß all dies begleitet war von Unheil. Im ersten Jahr schwoll der Piura an und schwoll immer weiter, durchbrach die Dämme der Felder, viele Äcker im Tal wurden überflutet, einige Tiere ertranken, und die Feuchtigkeit färbte weite Flächen der Sechurawüste grün, die Männer fluchten, die Kinder bauten Burgen im verunreinigten Sand. Im zweiten Jahr, wie aus Rache für die Beleidigungen, mit denen es die Eigentümer der überschwemmten Felder bedacht hatten, blieb das Wasser aus. Das Bett des Piura überzog sich mit Unkraut und Disteln, die bald nach der Geburt wieder starben, und zurück blieb nur eine schwärende, langgedehnte Wunde: die Zuckerrohrfelder verdorrten, die Baumwolle blühte zu früh. Im dritten Jahr verheerten Seuchen die Ernten.
    »Das sind die schlimmen Folgen der Sündhaftigkeit«, brüllte Padre García. »Noch ist Zeit, der böse Feind steckt euch im Blut, treibt ihn aus, indem ihr betet.«
    Die Hexenmeister aus den Slums besprengten die Saaten mit dem Blut junger Ziegen, wälzten sich in den Furchen, ergingen sich in Beschwörungen, um das Wasser anzulocken und die Insekten in die Flucht zu schlagen.
    »Mein Gott, mein Gott!« klagte Padre García. »Hunger herrscht und Elend herrscht, und doch wollen sie nicht in sich gehen, sie sündigen und sündigen.«
    Denn nicht die Überschwemmung, nicht die Dürre, nicht die Seuchen boten dem wachsenden Ruhm des Grünen Hauses Schach.
    Das Gesicht der Stadt veränderte sich. Die stillen Provinzstraßen bevölkerten sich mit Fremden, die an den Wochenenden von Sullana, Paita, Huancabamba, ja noch aus Tumbes und Chiclayo angereist kamen, verführt von der Legende des Grünen Hauses, die sich über die Wüste hin verbreitet hatte. Die Nacht verbrachten sie im Grünen Haus, und wenn sie die Stadt betraten, benahmen sie sich vulgär und grob, brüsteten sich auf den Straßen ihrer Trunkenheit wie einer Heldentat. Die Piuraner haßten sie, und mitunter kam es zu Schlägereien, beileibe nicht des Nachts und am traditionellen Austragungsort für Ehrenhändel, dem kleinen Fleck unter der Brücke, sondern am hellichten Tag und auf der Plaza de Armas, in der Avenida Grau, überall. Gruppenraufereien brachen aus. Die Straßen wurden gefährlich.
    Wenn sich trotz des Verbots der Behörden irgendeine der Insassinnen in die Stadt wagte, zerrten die Señorasihre Töchter ins Haus und zogen die Vorhänge vor. Völlig außer sich trat Padre García der Vorwitzigen entgegen; die Passanten mußten ihn festhalten, damit es zu keiner Körperverletzung kam.
    Im ersten Jahr beherbergte das Haus nur vier Insassinnen, aber im darauffolgenden Jahr, als diese abzogen, verreiste Don Anselmo und kehrte mit acht zurück, und es heißt, in seiner besten Zeit hätten bis zu zwanzig im Grünen Haus gearbeitet. Sie begaben sich direkt zum Haus, ohne die Stadt zu betreten. Von der alten Brücke aus sah man sie ankommen, hörte man ihr Kreischen und ihre Dreistigkeiten. Ihre bunten Kleider, die Kopftücher und der Putz funkelten wie Krustentiere in der trockenen

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