Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Hunde der Hazienda hätten angeblich eines Nachts gebellt, und als er beunruhigt auf den Vorplatz hinaustrat, habe er das Mädchen in Tücher gehüllt auf dem Boden entdeckt. Die Quirogas hatten keine Kinder, und die habsüchtigen Verwandten rieten, die Kleine ins Waisenhaus zu schicken, einige erboten sich, sie als Pflegekind aufzuziehen. Aber Doña Lucía und Don Roberto folgten den Ratschlägen nicht, schlugen auch die Angebote aus. Selbst das Getuschel schien ihnen nichts auszumachen. Eines Morgens, mitten bei einer Partie Rocambor im Centro Piurano, erklärte Don Roberto zerstreut, sie hätten beschlossen, Antonia zu adoptieren.
Es kam aber nicht dazu, denn an jenem Jahresende kamen die Quirogas nicht nach Piura. Das war noch nie passiert: die Leute wurden unruhig. Besorgt, es könne ihnen etwas zugestoßen sein, brach am fünfundzwanzigsten Dezember ein Trupp Reiter gen Norden auf.
Zehn Kilometer von der Stadt entfernt fanden siesie, dort, wo der Sand die Spuren verwischt und jede Markierung auslöscht und nichts als Trostlosigkeit und Bruthitze herrschen. Die Bandoleros hatten die Quirogas brutal niedergemacht und ihnen die Kleider vom Leib gerissen, die Garderobe, die Pferde, das Gepäck geraubt, auch die beiden Diener lagen tot da, in ihren stinkenden Wunden wimmelte es von Würmern. Die Sonne fraß immer noch an den nackten Kadavern, und die Reiter mußten mit Gewehrfeuer die Aasgeier vertreiben, die an der Kleinen herumhackten. Da entdeckten sie, daß sie noch lebte.
»Warum ist sie nicht gestorben?« sagten die Piuraner. »Wie ist sie nur am Leben geblieben, wo sie ihr doch die Zunge und die Augen ausgerissen haben?«
»Schwer zu sagen« , antwortete Doktor Pedro Zevallos und schüttelte verwundert den Kopf. »Vielleicht haben die Sonne und der Sand die Wunden vernarben lassen und verhindert, daß sie verblutete.«
»Die Vorsehung« , behauptete Padre García. »Der unerforschliche Ratschluß Gottes.«
»Ein Leguan wird daran geleckt haben« , sagten die Hexenmeister der Ranchos. »Sein grüner Speichel verhindert nicht nur Frühgeburten, er trocknet auch Wunden.«
Die Bandoleros wurden nicht entdeckt. Die besten Reiter suchten die Wüste ab, die fähigsten Fährtensucher durchkämmten die Wälder, die Höhlen, gelangten bis zu den Bergen von Ayabaca, ohne sie aufzustöbern. Immer wieder rüsteten der Präfekt, die GuardiaCivil, die Armee Expeditionen aus, die die entlegensten Dörfer und Weiler durchsuchten. Alles umsonst.
Aus allen Richtungen strömten die Menschen herbei und schlossen sich dem Trauerzug hinter den Särgen der Quirogas an. An den Balkonen der Principales hing schwarzer Flor, und der Bischof und die Behördenvertreter waren bei der Beerdigung zugegen. Das tragische Ende der Quirogas war in aller Mund, erhielt sich in den Erzählungen und Legenden der Mangaches und der Leute aus der Gallinacera.
›La Huaca‹ wurde in viele Parzellen aufgeteilt, und jeder stand ein Verwandter Don Robertos oder Doña Lucías vor. Als Antonia das Hospital verlassen
durfte, wurde sie von einer Wäscherin aus der Gallinacera abgeholt, Juana Baura, die den Quirogas gedient hatte. Wenn die Kleine auf der Plaza de Armas
auftauchte, ein Stöckchen in der Hand, um nicht über Hindernisse zu stolpern, liebkosten die Frauen sie, schenkten ihr Süßigkeiten, die Männer hoben sie
aufs Pferd und ritten mit ihr am Fluß spazieren. Einmal erkrankte sie, und Chápiro Seminario und andere Hacendados, die in der ›Estrella del Norte‹ beim
Schnaps saßen, zwangen die Stadtkapelle, sich mit ihnen zur Gallinacera zu begeben und vor der Hütte der Juana Baura den Zapfenstreich zu spielen. Am Tag
der Prozession ging Antonia unmittelbar hinter der Monstranz, und zwei oder drei Freiwillige bildeten einen Ring um sie, um sie vor dem Gedränge zu
schützen. Das Mädchen hatte etwas Fügsames, Scheues an sich, das die Leute rührte.
Sie hatten sie schon gesehen, mi capitán , der Cabo Roberto Delgado deutet hinauf zum Rand des Abhangs, waren schon gegangen, die andern zu warnen: die Motorboote laufen eines nach dem andern auf, die elf Männer springen ans Ufer, zwei Soldaten machen die Barkassen an einigen Felsblöcken fest, Julio Reátegui trinkt einen Schluck aus seiner Feldflasche, Capitán Artemio Quiroga zieht das Hemd aus, der Schweiß rinnt ihm von den Schultern, über den Rücken, und er wringt es aus, Don Julio, in dieser verfluchten Hitze würde ihnen noch das Hirn eintrocknen. Moskitoschwärme
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