Das gruene Zelt
genau wie Olga, ein Auserwählter des Schicksals war und dass das Schicksal ihn fürsorglich leitete, für ihn Netze wob, dafür sorgte, dass er Dienst hatte, wenn das bewusste Mädchen, flachsblond wie er selbst, in das Haus lief, wo sein Zielobjekt wohnte?
Es ist unfassbar, unglaublich, aber die Großzügigkeit des Schicksals erstreckt sich auch auf diese drittrangigen Statisten.
Ilja fand nie heraus, welcher seiner Sünden – der Verbreitung von illegaler Literatur, den kleinen Vermittlerdiensten zwischen verschiedenen Gruppen, der Nähe zu den damals bereits verhafteten Freunden Micha und Edik – er das aufmerksame Interesse der Sicherheitsorgane verdankte. Im Frühjahr 1971 bemerkte er die Observation.
Für Galja war sie schicksalsträchtig.
Das erste Mal sah Galja den Mann, als sie in der Haustür zusammenstießen. Er war nicht sehr groß, aber gut gebaut und sympathisch, mit grauer Schirmmütze und in einem langen Mantel. Er hielt ihr die Tür auf, und sie lächelte. Buchstäblich am nächsten Tag traf sie ihn auf dem Hof. Diesmal saß er mit einer Zeitung auf einer Bank und schien auf jemanden zu warten. Wieder lächelte Galja ihm zu. Und dann, beim dritten Mal, stand er im Hauseingang, sie grüßten sich, und er fragte sie nach ihrem Namen. Da begriff Galja, dass er nicht einfach so hier stand, sondern auf sie wartete, und freute sich. Nun gefiel er ihr noch besser. Er hieß Gennadi. Ein schöner Name. Er sah nicht besonders gut aus, aber auch nicht schlecht. Sie beide sahen sich ähnlich, wie sich bei genauem Hinsehen herausstellte: engstehende Augen, längliche Nase, kleines Kinn. Und waren auch von ähnlichem Typ, seine Haare waren nur ein wenig heller, allerdings hatte er nicht mehr viele. Sie lagen glatt am Kopf an. Er war ordentlich, sehr sogar. Machte einen äußerst kultivierten Eindruck. Doch kaum hatte Galja zu träumen begonnen, als er für eine Woche verschwand. Jeden Abend, wenn sie von der Arbeit zurückkam, hielt sie auf dem Hof nach ihm Ausschau, aber er war nicht mehr da.
Das war’s mit der Liebe, dachte sie enttäuscht und verlebte eine ganze Woche in dem wehmütigen Gefühl, dass ihr niemals etwas Derartiges widerfahren würde, dass sie ihr ganzes Leben im Souterrain fristen müsse, obwohl alle bereits in neue Wohnungen umgezogen waren, ihre Familie war die letzte, und sie selbst die allerletzte und allerunglücklichste, wie ihre Großmutter immer sagte.
Gleichgültig gegen alles kam sie aus dem Institut und lief in Richtung Kursker Bahnhof, um fünf Stationen mit der Metro nach Hause zu fahren. Trotz des schlechten Wetters und ihrer trüben Stimmung lief sie, wie ihre Muskeln es gewohnt waren, mit geradem Rücken, den Kopf mit dem blauen Barett hocherhoben, in einem alten Sommermantel, den sie ein Jahr zuvor von Olga bekommen hatte, als jemand von hinten mit fester Hand nach ihrem Arm griff. Ein Student, dachte sie. Schaute sich um – er!
»Galja«, sagte er, »ich warte hier schon lange auf Sie. Gehen Sie mit mir ins Kino!«
Wie hatte er sie gefunden? Er musste es darauf angelegt haben! Weiter ging es wie im Film. Und flog auch genauso schnell dahin. Und vor allem haargenau so, wie Galja es sich gewünscht hatte: Erst untergehakt, behutsam, fest, dann Hand in Hand, dann küsste er sie, mit Anstand, ohne Getatsche. Dann eine Umarmung – auch das war schön, ohne Grobheiten. Nach einem Monat machte er ihr einen Heiratsantrag. Er wollte zu ihren Eltern gehen, mit einer Torte und einer Flasche Wein, und um ihre Hand anhalten. Galja warnte ihren Vater vorher:
»Wenn du Wodka rausholst und dich besäufst, gehe ich für immer weg von zu Hause.«
Der Vater tippte sich mit einem geschwollenen braunen Finger an die Stirn.
»Da machst du mir aber Angst! Wo willst du denn hin?«
Er hatte natürlich recht. Aber er wusste nicht, dass seine Galja nun einen echten Schutz vor den Widrigkeiten des Lebens hatte.
Aus der geplanten Brautwerbung wurde nichts: Die Mutter musste an dem bewussten Abend kurzfristig einen Dienst übernehmen, und Galjas Bruder und seine Frau hatten sich die ganze Woche heftig gezankt, sich sogar geprügelt, so dass Galja Gennadi wieder ausladen und ihm stattdessen alles über ihre Familie erzählen musste. Er zeigte Verständnis.
»Galjuscha, meine sind genauso. Zum Teufel mit der Sippe … Das ganze Leben behindert sie einen. Wir heiraten einfach und sagen ihnen gar nichts davon.«
Alles an ihr passte Gennadi: Sie war schweigsam, stellte keine Fragen, war sogar
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