Das gruene Zelt
Meister des Sports, hatte studiert, und mit ihrer familiären Herkunft war auch alles klar – so eine Familie vergaß man am besten, als existierte sie nicht.
Gennadi hatte es eilig mit der Heirat, und zwar aus einem besonderen Grund, den er Galja auch mitteilte: Auf seiner Arbeitsstelle wurden Wohnungen in einem fast fertigen Neubau vergeben, ihm war eine Einzimmerwohnung versprochen worden, aber wenn er heiratete, könne er vielleicht eine kleine Zweizimmerwohnung bekommen, wegen der Aussicht auf Familienzuwachs.
Sie beantragten die Eheschließung, bestimmten den Termin. Galja ging zu Olga, teilte ihr mit, dass sie heiraten werde, und lud sie ein, Trauzeugin zu sein. Olga war inzwischen mit Ilja verheiratet, ihre beiden Schulfreundinnen aber welkten noch immer einsam vor sich hin – Brintschik wenigstens innig vereint mit ihren Hormonen, Galja aber ohne jeden Sinn.
Olga freute sich, war aber auch erstaunt.
»Du bist ja eine schöne Freundin, hast mir nicht mal erzählt, dass du jemanden hast. Nun müssen wir nur noch Brintschik verheiraten, dann sind wir alle unter der Haube!«
Olga hatte keine Ahnung, dass sie ganz nebenbei auch Brintschiks Schicksal entschieden hatte: Tamara traf sich bereits seit einem Jahr mit Iljas älterem Freund, dem brillanten Marlen.
An ihrem Geburtstag hatte Olga Tamara am Tisch neben Marlen gesetzt, sie waren dann zusammen aufgebrochen, und er hatte Tamara bis zur Metrostation begleitet. Wie sich herausstellte, waren sie fast Nachbarn. Tamara hatte sich unsterblich verliebt, es entbrannte eine heiße Leidenschaft, und viele Jahre pendelte der verheiratete Marlen zwischen zwei Wohnungen hin und her – zum Glück lagen sie nur fünf Minuten auseinander. In jeder hatte er eine Zahnbürste, einen Rasierapparat, Hemden und Unterhosen. Er war beruflich viel unterwegs, und manchmal genehmigte er sich eben eine Dienstreise ins Nachbarhaus, wo er in Stille und Liebe Zuflucht fand. Selbstredend streng geheim. Tamara hatte quasi am ersten Tag ihrer Bekanntschaft ein Schweigegelübde abgelegt: über Marlen zu niemandem ein Wort, vor allem nicht zu Olga und Ilja. Deshalb ahnte Olga, die unabsichtliche Arrangeurin fremder Schicksale, nichts von ihrer konstruktiven Rolle.
Eine Hochzeitsfeier bekam Galja nicht. Gennadi war dagegen, sinnlos Geld zu verschwenden, sie hätten große Ausgaben vor sich, für die Wohnungseinrichtung. Galja nickte – ja, ja. Es tat ihr ein bisschen leid um die Hochzeit, aber Gennadi hatte recht. Mit der Wohnungseinrichtung. Sie gingen aufs Standesamt, und anschließend fuhr sie mit ihrem Mann in sein Wohnheim. Er hatte ein schönes Zimmer, das alte Bett hatte er abgegeben und eine Klappcouch gekauft. An diesem Abend empfing Gennadi von seiner Frau ein überraschendes Geschenk, mit dem er einige Mühe hatte. Galja Poluchina war ein ehrbares Mädchen und hatte sich für ihren Ehemann aufgespart. Nur ein Umstand verdüsterte Gennadi diesen großen Tag: Galjas Freundin Olga. Wie hatte er nur zulassen können, dass die Frau seines Zielobjekts Ilja Brjanski, den er seit zwei Jahren hin und wieder observierte, Trauzeugin bei seiner Eheschließung war? So entstand eine persönliche Verbindung, und das war ziemlich unnötig, wenngleich auch interessant.
Während sie sich auf der neuen Couch wälzten, während Gennadi seine Mannespflicht tat, die natürlichen Hindernisse überwand und sich über die sanfte Mitwirkung seiner Frau freute, quälte ihn also ein kleiner Stachel: Ob Olga ihn erkannt hatte.
Olga hatte ihn erkannt. Zurück vom Standesamt, sagte sie zu Ilja, Galja habe den Nager geheiratet. So nannten sie Gennadi, seit sie bemerkt hatten, dass Ilja observiert wurde. Der Nager war einer der drei Überwacher, die Ilja vom Sehen kannte.
Erst lachte Ilja – nun sind wir also verschwägert! Dann kratzte er sich den Lockenkopf – was hast du ihr zum Abtippen gegeben?
Seit einigen Jahren übernahm Galja häufig Aufträge für sie. Sie tippte schnell und ordentlich. Und ohne etwas zu verstehen.
»Oh! Daran habe ich gar nicht gedacht! Verdammt!«
»Was hast du ihr gegeben?«, hakte Ilja nach.
»Sie hat meine ›Erika‹ und Solshenizyns GULAG , das hat sie!«
»Hol das sofort zurück. Gleich heute.«
Olga lief in das Souterrain, doch unterwegs fiel ihr ein, dass Galja zu ihrem Mann gezogen war. Der betrunkene Onkel Jura, der sauer war auf seine Tochter, weil sie die Hochzeit nicht gefeiert, sondern klammheimlich geheiratet hatte, reagierte unwirsch. Olga fragte, ob
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