Das gruene Zelt
Galja ihre Schreibmaschine vielleicht dagelassen habe.
»Sie hat ihren ganzen Kram mitgenommen, sie hat nichts hiergelassen. Nicht mal ihre Adresse«, sagte Onkel Jura schroff und schlug Olga die Tür vor der Nase zu.
Olga ging nach Hause, ratlos und verwirrt. Doch Ilja tröstete sie sofort:
»Schon gut, Olga, halb so schlimm. Galja ist ihr Leben lang bei euch zu Hause ein und aus gegangen, sie wird doch nicht gleich loslaufen und dich denunzieren. Wart’s ab, ich werde noch Tee trinken mit ihrem lieben Mann.« Ilja lachte.
Mit dem Teetrinken hatte Ilja nicht ganz unrecht, allerdings musste bis dahin noch einige Zeit vergehen. Etliche Jahre.
Olga erzählte Brintschik von Galjas überstürzter Hochzeit mit dem Nager, die Details mit der Schreibmaschine und dem Abtippen ließ sie weg. Brintschik war trotzdem entsetzt.
»Du darfst Poluschka nicht mehr ins Haus lassen!«
»Du spinnst wohl! Sie ist meine Freundin, quasi seit meiner Geburt! Wie stellst du dir das vor?«, empörte sich Olga.
»Es ist gefährlich. Ist dir das nicht selber klar? Ein Spitzel im eigenen Haus!«, prophezeite Tamara düster.
»Unsinn, Unsinn! Es ist gemein, jeden zu verdächtigen. Dann könnte ich auch dich verdächtigen!«, explodierte Olga.
Brintschik wurde puterrot, fing an zu heulen und ging.
Am nächsten Tag rief Olga auf Galjas Arbeitsstelle an und erfuhr, dass sie seit heute im Urlaub sei. Merkwürdig – Galja hatte ihr gar nichts von dem Urlaub gesagt. Sie hatte selbst nichts davon gewusst, das war ein Geschenk ihres Mannes. Flitterwochen! Das mit dem Urlaub bestätigte auch Galjas Mutter und fügte noch hinzu, das junge Paar sei in einem Ferienheim in Kislowodsk. Olga fragte nach der Schreibmaschine – sie habe sie Galja geliehen und brauche sie nun dringend. Galjas Mutter Nina bat sie zu warten, dann kam sie zurück ans Telefon – es sei keine Schreibmaschine im Haus. Die hätte sie bestimmt nicht übersehen, sie sei ja nicht eben klein.
Olga fragte sich, ob Onkel Jura die Schreibmaschine womöglich vertrunken hatte. Wer weiß.
Eine nagelneue »Erika« kostete ein Vermögen, und vor allem war sie nirgends zu bekommen. Aber sie brauchte sie so dringend! Olga tippte zwar ganz gut, doch es fehlte ihr an professionellem Tempo, deshalb übernahm sie größere Texte nicht selbst, sondern gab sie Galja oder anderen Stenotypistinnen.
Doch der Verlust des Archipel GULAG erschien ihr in diesem Fall als das noch schlimmere Unglück.
Zwei Wochen später kam Galja angelaufen, frischer anzusehen, beinahe hübsch, aber furchtbar aufgelöst, weinend und mit einem aufrichtigen Geständnis: Schreibmaschine und Manuskript seien aus ihrem Elternhaus spurlos verschwunden, wohin, wisse sie nicht, sie werde die Summe abarbeiten, in drei Monaten bekomme Olga das Geld zurück. Verschwunden sei das alles vermutlich, als das junge Paar in den Flitterwochen war.
»Nein, schon vorher!«, sagte Olga darauf. »Gleich an dem Tag, als du und Gennadi geheiratet habt, ist es mir eingefallen, da bin ich am nächsten Abend zu dir nach Hause!«
»Das kann doch nicht sein!«, stöhnte Galja.
Die häuslichen Nachforschungen, die Galja unverzüglich anstellte, ergaben nichts. Ihr Vater hatte gerade wieder angefangen zu trinken, was ein indirektes Indiz für den Diebstahl war. Als Quartalstrinker hatte er seinen festen Zeitplan, und die Zeit war just heran.
Galjas Bruder Nikolai, den diese zu befragen versuchte, wurde plötzlich wütend, zitterte und brüllte, sie solle ihn in Ruhe lassen. Er war nicht ganz richtig im Kopf, er wurde seit seiner Schulzeit von der psychiatrischen Ambulanz betreut.
Also musste Olga Galja auch noch trösten, mit ihr Tee trinken. Freundlich erkundigte sie sich, wie das Eheleben laufe. Damit stand alles bestens, Galjas Mann trank nicht, war solide, hatte eine gute Arbeit und wollte sich sogar nach einer besseren Stelle für Galja umsehen.
Dann kamen Ilja und Kostja vom Schlittschuhlaufen heim, beide durchgefroren. Auf einer kleinen Eisbahn im Nachbarhof hatten sie sich nach Herzenslust ausgetobt. Allerdings hatte am Ende ein Junge mit einem Schneeball Kostjas Nase getroffen, es war Blut geflossen, doch sie hatten es rasch mit einem Stück Eis gestoppt.
Wenn Ilja auftauchte, floh Galja meist, auch jetzt ging sie sofort. Olga wusch Kostjas Schal und die Taschentücher aus. Dann aßen sie zu dritt – das waren immer ihre liebsten Tage, wenn Olgas Mutter auf der Datscha übernachtete. Nach dem Essen schickte Olga Kostja ins
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