Das gruene Zelt
ließ ihn durch, doch ein wurmartiger Mann im grauen Anzug sprang herbei.
»Entschuldigung, zu wem wollen Sie?«
»Zimmer 724.«
»Biisehr!«, sagte der Mann in hastig-beflissenem Dienstbotenton und entblößte sein Gebiss.
Ilja, den Idioten probend, erwiderte freudig:
»Guten Tag!«
Im Fahrstuhl fuhr er mit zwei Französinnen, die eine war eine richtige Dame in einem exklusiven schwarzen Langhaarpelz, vollkommen unangemessen für die Saison, die andere blutjung, mit einem blassen, schmalen Gesicht, ebenfalls nicht saisongerecht gekleidet – sie trug einen hauchdünnen weißen Mantel, fast wie aus Gaze. Sie redeten freudig aufeinander ein, wiederholten ständig très bien, très bien . Dabei schaute die Junge mit flüchtigem weiblichem Interesse hin und wieder zu Ilja. Und er war so versunken in die Betrachtung der beiden, dass er ganz vergaß, warum er in die siebte Etage fuhr.
Vor der Tür schaute er auf die Uhr – er kam zehn Minuten zu spät, und das freute ihn nun sogar: Na und? Ich komme immer zu spät, auch zu Ihnen. Oder halten Sie sich für was Besseres?
Er klopfte an und trat ein.
»Nur herein, herein. Guten Tag … Abend.«
Der Mann saß an einem Schreibtisch, im Gegenlicht, sein Gesicht lag im Schatten.
»Sie kommen zu spät, Ilja Issajewitsch, zu spät. Wie ein Fräulein zum Rendezvous«, bemerkte der Sitzende herablassend.
»Ja, ja.« Ilja lächelte. »Eine schlechte Angewohnheit, ich komme immer zu spät …« Er spürte, dass er den richtigen Ton getroffen hatte, nicht ängstlich und unterwürfig.
»Nun ja, ein freier Künstler kann sich das erlauben. Ich dagegen bin im Dienst, ich bin an bestimmte Zeiten und Umstände gebunden.« Ironische Töne, Moskauer Aussprache, selten für einen KGB-Mann. »Nehmen Sie doch Platz. An dem kleinen Tisch dort bitte, das ist nicht so offiziell.« Er erhob sich vom Schreibtisch und rückte einen Sessel zurecht.
Ein solches Zimmer hieß »Halb-de-Luxe«, eine sowjetische Erfindung, zwei Zimmer, die Tür zum Schlafzimmer war angelehnt. Im Türspalt blähte sich ein dunkelroter Samtvorhang.
Im Wohnzimmer gab es außer dem Schreibtisch einen kleinen runden Tisch, zwei Sessel und ein Bild. Ilja warf einen Blick auf das Bild: Plumpe sowjetische Kunst, dicke Ölschichten, Goldrahmen – zwei Jungen stehen bis zu den Knien im Wasser und ziehen ein Schleppnetz heraus.
»Machen wir uns bekannt.« Der KGB-Mann streckte ihm die Hand hin. »Anatoli Alexandrowitsch Tschibikow.«
Ilja drückte die Hand und merkte, dass er anfing, mitzuspielen. Er hatte hier niemandem die Hand geben wollen.
Er ist dünn, aber das Gesicht aufgedunsen, Tränensäcke unter den Augen. Eine angebrochene Packung bulgarischer Zigaretten, Zeige- und Mittelfinger sind gelb vom Nikotin. Er ist Raucher, und er raucht meine Sorte, registrierte Ilja. Sieht nicht aus wie ein Russe – schwarze, glänzende Haare, die schräg in die Stirn fallen, oben auf dem Kopf ein Wirbel, da stehen sie hoch. Die Augen haben etwas Asiatisches. Ein interessantes Gesicht, wie ausgewaschen und eingelaufen, und unterm Kinn eine Art kleiner Kropf.
»Wir beide, Ilja Issajewitsch«, kam Anatoli Alexandrowitsch ohne weitere Vorrede zur Sache, »haben ein gemeinsames Interessengebiet« – er machte eine einladende Pause, darauf wartend, dass Ilja sofort nachhaken würde.
Ilja schluckte den Köder, spuckte ihn aber gleich wieder aus.
»Das glaube ich nicht.«
»Doch, doch. Die Sammelleidenschaft. Ich rede nicht von Ihrer Futuristen-Sammlung, eine sehr anständige Sammlung übrigens. Ich meine die Geschichte. Ja, ja, die jüngere Geschichte. Ich bin Historiker von Beruf, ich habe meine Lieblingsthemen, auch jenseits der jüngeren Geschichte. Auf dem Gebiet der allerjüngsten Geschichte!«
Ilja spürte, wie sein Kopf schwerer wurde, wie es in seinem Hinterkopf zu pochen begann und selbst in den Augen etwas drückte: Es geht um Micha, um seine und Ediks Zeitschrift. Oder um die Chronik ?
Augenblicklich vergaß er die Rolle des Dummkopfs, die er eigentlich spielen wollte. Beide Männer zündeten sich gleichzeitig eine filterlose bulgarische Zigarette an.
»Gleiches Interessengebiet, gleicher Geschmack.« Tschibikow grinste und legte seine Zigarettenschachtel neben die von Ilja.
»Ob wir den gleichen Geschmack haben, ist sehr die Frage«, parierte Ilja, und ihm wurde etwas leichter. Er war zufrieden mit sich: eine unabhängige Antwort, ja, fast frech.
»Wer weiß …« Der KGB-Mann seufzte. »Wissen Sie, bei
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