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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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wenig ertragreich, es gab nur noch wenige alte Gebäude, die meisten Häuser waren kurz vor oder nach dem Krieg bezogen worden; karelische Birkenmöbel und französische Bronzegegenstände hatten die hiesigen Bewohner entweder schon vor ihrem Umzug ausrangiert oder nie besessen.
    Hier, im ehemaligen Dorf Wseswjatskoje, fand sich im Müll höchstens hin und wieder kleinbürgerlicher Hausrat. Vor nicht allzu langer Zeit hatte jemand eine Truhe mit Kleidern aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts weggeworfen. Das meiste hatten sich kleine Mädchen geholt. Igor hatte nur einen braunen Reifrock, eine Pelzpelerine und eine komplette Gymnasiastinnenuniform ergattert.
    Heute aber war Igor verblüfft – neben der Holzkiste, in die die Hausbewohner ihren Müll warfen, weil der Müllschlucker wegen der Kakerlaken zugesperrt worden war, standen ordentliche Stapel Tamisdat 10) -Bücher. Ohne sie sich genauer anzusehen, schleppte er sie in den Heizungskeller und lief zur Metro, um zu telefonieren. Sein ehemaliger Schulfreund Ilja hatte noch geschlafen, seine Stimme klang verärgert.
    10) Gegenstück zu Samisdat, wörtlich: »Dortdruck«; Bücher, die im Ausland gedruckt wurden. Anm. d. Ü.
    »Spinnst du, so früh anzurufen?«
    »Komm sofort zum Heizungskeller. Mit dem Auto.«
    Ilja kannte den Heizungskeller gut, denn er hatte Igor über Bekannte vor einem Jahr dort untergebracht, als dieser nach einem Skandal aus dem Kurtschatow-Institut geflogen war.
    Eine halbe Stunde später war Ilja da. Sie luden die Bücher ins Auto und brachten sie in die Wohnung eines anderen Generals, der sich seinerzeit nicht für Münzen und Bücher, sondern für Möbel interessiert hatte. Und nicht in seiner Stadtwohnung gelebt hatte, sondern auf der Datscha.
    Kostja war schon in der Schule. Olga kochte den Männern Kaffee und setzte sich auf den Fußboden, um die Bücher zu sortieren. Sie hatte sie alle schon gelesen. In einem der Stapel fand sie den Chodassewitsch mit dem Kaffeefleck auf dem Umschlag – dem Baum und dem Weg.
    »Igor, dein Heizungskeller, ist der in Sokol, in einem Generalshaus?«
    »Ja, wieso?«
    »Nur so. Ich hab alle diese Bücher schon an der Uni gelesen. Wahrscheinlich ist ihr Besitzer gestorben. Er war General.«

Der Flüchtling
    Das Gewitter begann früh um halb drei wie eine Oper oder eine Sinfonie – mit Ouvertüre, Leitmotiven, einem Duett von Wasser und Wind. Blitzsäulen zuckten auf, begleitet von anhaltendem Donnern und Wetterleuchten, dann eine Pause und der zweite Akt. Maria Nikolajewnas Herz, das den ganzen Tag wehgetan hatte, beruhigte sich sofort, ebenso wie die Kopfschmerzen von Hauptmann Popow, die ihn fast vierundzwanzig Stunden lang geplagt hatten. Er konnte sogar ein paar Stunden schlafen, bevor er zur Arbeit ging. Das Einzige, was er nicht mehr schaffte, war, einen Stempel unter das Dokument zu setzen. Aber das konnte er auch hinterher tun.
    Punkt neun klingelte er an der Tür. Lange machte niemand auf, dann regte sich in der Wohnung etwas.
    »Wer ist da? Wer ist da?«, rügte eine kapriziöse Frauenstimme den unsichtbaren Besucher.
    Endlich wurde die Tür geöffnet, doch die Kette blieb vorgelegt. Siwzew und Jemljanenko traten von einem Bein aufs andere – sie wollten möglichst rasch anfangen und schnell fertigwerden. Die Tölpel. Popow hielt seinen Klappausweis vor den Türspalt. Wieder Bewegung, dann wurde endlich aufgemacht.
    Der Zeuge kam angetrottet, ihr Mann von der Wohnungsverwaltung.
    »Boris Iwanowitsch Muratow, wohnt der hier?«
    Augenblicklich erschien Muratow. Ein kräftiger Mann um die vierzig mit Bart, in einem blauen Hausmantel, offenbar aus Samt.
    Solche Hausmäntel gibt’s bei uns nicht, dachte Popow feindselig, der ist aus dem Ausland. Wo nehmen die so was bloß her?
    »Ihren Ausweis bitte«, bat Popow recht höflich.
    Muratow ging ins Nebenzimmer, und im selben Moment kam seine Frau heraus, natürlich eine Schönheit, und auch sie in einem blauen Hausmantel! So was, auch noch zwei gleiche!
    »Hier, lesen Sie bitte.« Popow hielt Muratow das Dokument hin. In die Hand gab es ihm Muratow aber nicht, ließ ihn nur von weitem draufschauen.
    »Gestatten Sie!« Muratow streckte die Hand aus. Doch Popow zog das Papier wieder weg.
    »Was gibt’s da groß zu sehen, ein Durchsuchungsbeschluss, das kann ich Ihnen auch so sagen. Den behalte ich in der Hand.«
    »Ich sehe, dass das ein Durchsuchungsbeschluss ist. Aber der Stempel fehlt.«
    »Zum Teufel noch mal«, fluchte Popow. »Das spielt

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