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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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nahm ein neues Blatt und zeichnete sich, wie er die Straße entlangläuft. Darüber schrieb er »Bahnhof« und zeigte das Blatt Natascha und der hereinkommenden Maria Nikolajewna. Die Schwiegermutter begriff schneller als seine Frau und nickte.
    »Jetzt gleich«, sagte Boris.
    »Allein?«, fragte Natascha.
    »Hmhm«, bestätigte Muratow nickend.
    Dann öffnete er den Wandverschlag, den Hauptmann Popow gründlich hatte durchsuchen wollen, und zog eine Mappe heraus, die genau das enthielt, weswegen der Hauptmann gekommen war.
    Er nahm einen Packen Zeichnungen heraus und ging in die Küche.
    Maria Nikolajewna folgte ihm schweigend.
    Muratow zog ein Backblech aus dem Herd, legte mehrere Blätter darauf und hielt ein Streichholz daran. Maria Nikolajewna entriss ihm rasch die Streichhölzer.
    »Wie oft habe ich Sie schon gebeten, Boris Iwanowitsch, sich nicht in meinen Haushalt einzumischen …«
    Er hockte auf dem Fußboden, wobei er fast die gesamte freie Fläche in der Küche einnahm, und schaute sie von unten herauf an. Maria Nikolajewna schob ihn beiseite und in den Flur hinaus und schlug das abgetretene Linoleum ein Stück zurück. Boris breitete nur begeistert die Arme aus. Koordiniert und präzise, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan, stopften sie die Zeichnungen unters Linoleum und schoben das abgetretene Ende wieder unter die Türschwelle. Alles sah wieder aus wie vorher, als wäre nichts geschehen. Boris küsste Maria Nikolajewna herzlich auf die Wange – es hätte ihm doch leid getan, alles zu verbrennen.
    Dann holte er aus der unteren Kommodenschublade eine Segeltuchhose, die ziemlich kurz war, in der Hüfte aber unglaublich weit, und nahm in der Kammer einen alten Strohhut vom Haken; beides hatte seinem verstorbenen Schwiegervater gehört. Das alles ohne ein einziges Wort.
    »Du bist verrückt, du bist verrückt«, sagte Natascha immer wieder, doch die Schwiegermutter zeigte auf das Telefon – genau wie Boris war sie sicher, dass sie abgehört wurden – und sagte laut:
    »Boris, ich brate zum Mittag Buletten, ja?«
    »Buletten sind gut, ja.«
    Fünfundzwanzig Minuten später verließ er das Haus. Den Bart hatte er sich abrasiert, den Schnauzer stehengelassen, die Haare gestutzt. Er ging über den Hof, der so überschwemmt war, dass man bald ein Boot brauchen würde. Aus der riesigen Pfütze ragten abgebrochene Zweige, wie nach der Sintflut. In der Hand trug Boris eine große Einkaufstasche. Sie enthielt Wechselwäsche, einen Pullover und sein Lieblingsschlafkissen, außerdem alles Geld, das im Haus gewesen war, bis auf die letzte Kopeke.
    Siwzew und Jemeljanenko, die zur Beobachtung dageblieben waren, saßen in einem Pavillon auf dem Hof und rauchten. Sie beratschlagten, ob sie nicht Bier holen sollten …
    Hauptmann Popow erschien mit einem deutlichen Stempel auf dem Durchsuchungsbeschluss um zehn Uhr fünfzehn. Natalja Muratowa, Ehefrau und Hauptmieterin der Wohnung, öffnete diesmal sofort und erklärte, Muratow sei zur Arbeit gegangen. Popow schleuderte einen zornigen Blick auf seine beiden Trottel.
    »Er arbeitet doch gar nicht!«, sagte Popow. »Zu was für einer Arbeit?«
    »Er ist Künstler, er geht nicht zum Dienst, aber er arbeitet sehr viel. Sie haben doch selbst gesehen, er hat Lenins Sarkophag gemacht«, bemerkte die Schwiegermutter.
    »Er wurde aber längst entlassen«, parierte Popow.
    »Ja, und nun ist er auf Arbeitssuche«, entgegnete Maria Nikolajewna.
    »Will er vielleicht zum Mittagessen zurück sein?«, erkundigte sich der Hauptmann.
    »Aber ja, unbedingt.« Sie haben auf die Buletten angebissen, die verdammten Lauscher, und wie schnell! »Er hat sich Buletten zum Essen gewünscht. Zum Mittag erwarten wir ihn zurück.«
    Der Hauptmann ging an die Arbeit. Ohne sich zu schonen, durchwühlte er Haufen diverser Papiere. Der übliche Samisdat, wie bei allen. Aber in diesem Fall ging es Popow nicht um Samisdat.
    Was Popow suchte, lag als Fotokopie aus dem Magazin »Stern« in seinem Büro. Es waren Karikaturen: Riesige Buchstaben, zusammengesetzt zu »Ruhm der KPdSU«, und darunter eine Menge Menschen und Hunde, die versuchten, die heiligen Buchstaben zu erhaschen. Die Buchstaben waren aus Wurst geformt – Kochwürsten mit weißen Speckstückchen an den Schnittstellen, zugebundenen Enden und sogar mit Etikett: »2 R. 20 Kop.«
    Eine andere Karikatur zeigte ein ebenfalls aus Würsten gebildetes Mausoleum, das Wort »Lenin« bestand aus Würstchenpaaren …
    Auf der dritten

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